Interview: Die Profiteure trockenlegen

[Juni 2001]

Das Angebot von Kleinwaffen zu reduzieren ist nötig. Aber effektiver wäre es, die Nachfrage in den Griff zu bekommen, meint Peter Lock im Gespräch mit SÜDWIND-Mitarbeiter Robert Poth

Peter Lock ist im deutschen Sprachraum einer der bekanntesten Experten für Ökonomien bewaffneter Konflikte und u.a. am International Action Network on Small Arms (IANSA) beteiligt.

SÜDWIND: Dass sich nun eine UN-Konferenz erstmals mit der Kleinwaffenproblematik auseinandersetzt, ist zu begrüßen. Aber es scheint sich ein eher mageres Ergebnis abzuzeichnen.

LOCK: Die Gefahr besteht ganz deutlich, weil bei solchen Konferenzen nach dem Konsensprinzip vorgegangen wird. Das fängt schon damit an, dass der Titel der Konferenz sehr umstritten war. Insbesondere China, aber auch viele Entwicklungsländer wollen sich nur über illegalen Handel unterhalten, während andere Staaten gerne den Gesamtkomplex der Kleinwaffen regeln wollen, nämlich unter der richtigen Beobachtung, dass jede Kleinwaffe als legale Waffe produziert und geboren wird, und in ihrem Lebenszyklus an irgendeiner Stelle überhaupt erst eine illegale Waffe wird. Der Kompromiss bestand darin, dass man im Untertitel gesagt hat “in allen ihren Aspekten”, und wo dann die Grenzen sind, darüber wird ständig gestritten.

Die Beschränkung auf den illegalen Handel scheint aber bereits klar zu sein, genauso auch bei den Verhandlungen über das Schusswaffenprotokoll zur UN-Konvention über transnationale Kriminalität in Wien.

Ganz deutlich die gleiche Beschränkung, wobei die Bremser in den verschiedenen Foren jeweils unterschiedlich sind. Bei den Wiener Verhandlungen sind insbesondere die USA daran interessiert, dass keine weiteren Einschränkungen bei privatem Waffenbesitz vorgenommen werden. Ihre Minimallinie ist so, dass aus diesem Abkommen nicht viel herauskommen kann.

Abgesehen vom Ausschluss der legalen Transfers, worin sehen Sie die Hauptdefizite?

Ein Hauptmangel ist, dass die gesamte bisherige Diskussion sich auf die Angebotsseite konzentriert, was mehrere Gründe hat. Einer ist, dass die New Yorker Verhandlungen in der Tradition der Rüstungskontrollpolitik stehen. Dieser Aspekt ist ein treibendes Motiv gewesen. Der weitere sozialökonomische Kontext der Kleinwaffenproblematik und ihre fatalen Folgen für die gegenwärtigen innergesellschaftlichen Kriege werden daher gar nicht erfasst. Ein anderer sind Befürchtungen, dass die Handlungsfähigkeit souveräner Staaten eingeschränkt oder Aspekte wie kriminelle Ökonomien, internationaler Handel im Rahmen dieses Abkommens diskutiert und gewisse Regelungen vereinbart werden könnten.

Bei beiden Verhandlungen geht es neben der Registrierung und Lizenzierung von Händlern und Maklern auch um die Markierung von Waffen und Munition, um ihre Spur zurückverfolgen zu können. Was ist davon zu erwarten?

Es wird die Realität nur geringstfügig verändern, aber wenn so etwas wie die Markierung tatsächlich völkerrechtlich verbindlich festgestellt wird, bedeutet das, dass Waffenströme auch für Außenstehende eine ganz neue Transparenz bekommen. Über mittlere Frist wird das eine Eigendynamik entwickeln. In Bürgerkriegen hängt die Waffenbenutzung sehr stark vom Preis ab. Jede Markierung, sofern man sie beseitigen will, würde den Gebrauchswarenmarkt erheblich verteuern. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn ein technisch klares Verfahren vereinbart würde.

Das würde den Zuwachs beschränken. Andererseits gibt es ja bereits ein Überangebot an Waffen.

Wie gesagt, es wird keine unmittelbare Wirkung haben, darüber muss man sich im Klaren sein, und trotzdem würde ich stark dafür plädieren, dass das beschlossen wird. Ich hab den Spatz in der Hand, und die Taube, die ich eigentlich bräuchte in den nächsten Jahren, ist unerreichbar. An der Tendenz ändert es gar nichts, aber über die Zeit wird sich die Situation dramatisch verändern. Das gilt insbesondere für den Munitionsbereich, denn im Gegensatz zu einer automatischen Waffe ist Munition ja ein Verbrauchsgut.

Geplant ist ja auch eine strengere Prüfung von Endabnehmerzertifikaten.

Den Endabnehmer, der gegen Bestechung falsche Zertifikate liefert, kann man immer finden. Solange man Waffen und Munition nicht als besonderes Gut betrachtet, das rechtlich anders zu behandeln ist, kommt man nicht viel weiter. Ein entscheidender Schritt wäre, die Beweislast für die korrekte Abwicklung eines legalen Transfers an Polizei oder Militär eines Landes umzukehren und die finanzielle Abwicklung von einem entsprechenden neutralen Nachweis abhängig zu machen – etwa die Lieferanten zu zwingen, einen Geldbetrag beim Staat zu hinterlegen, bis der Nachweis erbracht ist. Damit hätte man von vornherein ökonomische Sanktionsmöglichkeiten eingebaut. Aber der wichtigere Punkt aus meiner Perspektive ist, dass man die Nachfrage in den Griff bekommt, dann hat man bei diesen Problemen mehr geleistet.

Da scheint ja der UN-Sicherheitsrat auf dem richtigen Weg zu sein. Das Diamantenembargo gegen die UNITA in Angola etwa soll ihre Kaufkraft einschränken.

Das ist einerseits richtig, aber gerade den Fall Diamanten finde ich beinahe unanständig, denn die Gegenseite, die angolanische Regierung, das sind genauso Kriegsunternehmer, die stehen im Bunde mit den internationalen Ölkonzernen, die in Angola offshore das Öl fördern und die staatliche Kriegspartei finanzieren. Solange sie im Krieg sind, gibt es keine Transparenz der Staatlichkeit, die Eliten bereichern sich und bauen in der Schweiz ihre Häuser. Aber ich würde es nicht auf Embargos beschränken. Was geleistet werden muss, ist zu identifizieren, wie Bürgerkriegsparteien ihre Waffen finanzieren. Waffen bekommt man nur mit Devisen, und die müssen erwirtschaftet werden. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle finden diese Transaktionen in einer illegalen Grauzone der globalisierten Ökonomie statt. Daran profitieren viele Leute, weil der kriminelle Export von Menschen, Diamanten, Holz, was auch immer natürlich nur mit enormen Preisabschlägen vonstatten gehen kann. Diese Profiteure, diese Zwischenglieder müsste die internationale Gemeinschaft ins Visier nehmen und mit entsprechenden Maßnahmen trockenlegen. Das wäre die Aufgabe der wichtigsten Industriestaaten, denn diese Devisen werden fast ausschließlich in Transaktionen entweder mit den Ölstaaten oder den Industriestaaten erwirtschaftet. Sie können die Bürgerkriege durchgehen, wie sie wollen, das ökonomische Produkt, das zu Devisen führt, mit denen Waffen gekauft werden, muss in die legale Konsumsphäre reicher Staaten hineingeschleust werden.

Was bewegt eigentlich die reichen Länder, die ja Hauptquellen der Waffen sowie der Gelder sind, hier aktiv zu werden?

Ganz entscheidend ist der öffentliche Druck. Ich denke, dass die nach Ende des Kalten Kriegs lauter gewordene Menschenrechtsdiskussion ein Resonanzboden ist, auf dem die Öffentlichkeit sich intervenierend artikuliert. Es ist eine ganz deutliche politische Tendenz der letzten zehn bis 15 Jahre, dass die Nichteinmischung nur bis zu einer gewissen Grenze geht und in zunehmendem Maße Verletzungen von Menschenrechten ein generell akzeptierter Interventionsgrund sind, nicht unbedingt für eine militärische Intervention, aber doch für massive politische Einwirkung. Man muss sich immer klar machen: Globalisierung heißt, wir sind an den Kreisläufen beteiligt. Und das gilt es zu identifizieren, und da hat die Zivilgesellschaft dann Möglichkeiten, politische Forderungen zu erheben und selbst politisch aktiv zu werden.

Zurück zur UN-Konferenz. Was wären die Idealschritte?

Die Idealschritte wären, dass in bestimmten Ländern Sozialwissenschafter, NGOs und gutwillige Regierungen gemeinsame Anstrengungen unternehmen, die Konfliktlogik dort, wo Konflikte bewaffnet ausgetragen werden, genauer zu untersuchen als bisher, und daraus dann Politikvorschläge zu entwickeln und der internationalen Gemeinschaft vorzutragen. Wenn diese präzise genug sind, haben sie auch eine gewisse Chance, politisch durchgesetzt zu werden. Das mit den Diamanten hätte man schon vor 15 Jahren wissen können. Es zeigt nur, dass eine penetrante, sorgfältige und kompetente Offenlegung schließlich politische Schritte ermöglicht. Und auf diesem Weg muss intensivst weitergegangen werden. Gewisse kriegerische Verhältnisse sind dermaßen stabil, weil sie einfach sich entwickelnde Produktionsweisen sind. Wenn man etwa eine Kriegsökonomie als einen Motor betrachtet, der fürchterlichen Schaden anrichtet, dann gibt es im Kern immer Leute, die sich mit der Energie, die der Motor abgibt, trefflich fortentwickeln. Das muss man in den Griff kriegen. Wenn man erkennt, dass die vorgelagerte Produktion von Kriegsökonomien notwendig in unserer Konsumsphäre auftaucht, dann sind wir nicht machtlos.

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