pensionen: dummheiten ohne ende

In der Debatte über die Reform der Pensionssysteme wird dem volkswirtschaftlichen Unsinn des “Reformlagers” im Kern bloß Wachstumsoptimismus entgegen gehalten. Auf der Suche nach Lösungen sollte jedoch zuerst die “Geldbrille” abgenommen werden.

Vorerst zum Unsinn des Reformlagers. Mein Zorn über die Argumente der BefürworterInnen einer Umstellung des Pensionssystems von einem Umlage- auf ein Kapitaldeckungsverfahren war bereits vor Jahren groß genug, dass ich mich zu einer seltenen Aktivität hinreißen ließ, nämlich zur Verfassung eines Leserbriefs. Zu meiner Überraschung wurde er sogar publiziert.

Da er in aller Kürze einen wesentlichen Teil meiner Kritik an diesen Plänen enthält, stelle ich ihn vorläufig an den Beginn dieses Textes.

Leserbrief zu “Pensionsschock”, Format Nr. 40, 4.10.1999
Etikettenschwindel

Ein (Teil)Umstieg auf das Kapitaldeckungsverfahren ist keine Lösung der demographischen Probleme des Pensionssystems, sondern Etikettenschwindel. Der Umstieg würde lediglich die Finanzierungsgrundlage von den Arbeitseinkommen auf die Unternehmensgewinne verschieben. Doch die fallen nicht vom Himmel, sondern müssen erwirtschaftet werden – von der selben schrumpfenden arbeitenden Bevölkerung. Und die wird auf jeden Fall zur Kassa gebeten: Entweder durch höhere Steuern bzw. Beiträge oder durch Verzicht auf Abgeltung der Produktivitätssteigerungen zugunsten der Besitzeinkommen. Profitieren würde bloß die Finanzbranche – sie könnte sich risikolose Einkünfte aus der Vermögensverwaltung unter den Nagel reißen.

Auf eine weitere Absurdität im Zusammenhang mit Kapitaldeckungsverfahren habe ich in einem Artikel zum Thema Pensionsreformen in Entwicklungs- bzw. Transitionsländern verwiesen, der zuerst im Juli 2003 im Südwind Magazin veröffentlicht wurde (siehe (K)ein arbeitsfreies Alter). Die Absurdität besteht darin, dass die neuen Pensionsfonds zum Großteil in inländische Staatsanleihen investieren (die auch emittiert werden, um die Verpflichtungen aus den Umlageverfahren zu decken!) – mit der Folge, dass die zukünftigen Pensionen erst recht wieder aus Steuermitteln bezahlt werden müssen.

Einziger Vorteil: Auslandsinvestitionen

Der einzige (theoretische) Vorteil eines Kapitaldeckungsverfahrens (dazu gleich mehr weiter unten) – und das hat der als Pensionsexperte bekannte Professor Bert Rürup einmal öffentlich in einer Radiosendung (Ö1; hoffentlich lässt sich Datum und Sendung noch recherchieren) ausdrücklich betont – beruht auf der Möglichkeit, die veranlagten Gelder auch im Ausland zu investieren, während die Beiträge bei einem Umlageverfahren notgedrungen aus dem Inland stammen müssen.

Warum kann das ein Vorteil sein? Lediglich deshalb und nur dann, falls die Renditen für ausländische Staats-/Unternehmensanleihen und die dort erzielbaren Dividenden und Kursgewinne (bei Veranlagung in Aktien) höher sind als im Inland (von Währungskrisen einmal abgesehen). Das könnte etwa aufgrund der jüngeren Bevölkerung und der höheren Wachstumsraten der Fall sein – so zumindest die Hoffnung.

Auch dieser Aspekt ist sicher ein Grund, warum Entwicklungs- und Schwellenländern so dringend ans Herz gelegt wird, Auslandskapital (Direkt- oder Portfolioinvestitionen) ins Land zu lassen – auch wenn das Argument mit den “fehlenden Ersparnissen” in ärmeren Ländern auf dem Trugschluss beruht (siehe Ersparnisse und Investitionen), Ersparnisse müssten Investitionen vorausgehen.

“Mehr Wachstum durch mehr Sparen”

Dieser Trugschluss spielt auch in der Pensionsreformdebatte eine prominente Rolle.

Manche “ExpertInnen” versteigen sich etwa sogar zur Behauptung, dass die durch Pensionskürzungen oder Umstellungen auf Kapitaldeckung herbeigeführte höhere Sparquote (“Angstsparen” könnte das genannt werden) zu höherem Wachstum führt, weil höhere Sparquoten zu höheren Investitionen führen und diese wieder zu beschleunigtem Wachstum. Ein Beispiel sind etwa die Analysen der Folgen des Alterungsprozesses der reichen Länder der Unternehmensberatung McKinsey, publiziert in ihrem Online-Journal www.mckinseyquarterly.com (u.a. The demographic deficit: How aging will reduce global wealth, 2005). Die Wachstumslogik wird darin völlig auf den Kopf gestellt und eine Wirtschaft herbeiphantasiert, deren Motor das “Sparen” des Haushaltssektors ist und nicht die Investitionen des Staates oder der Unternehmen.

Immerhin scheint noch ein Rest Vernunft sogar im Internationalen Währungsfonds (IWF) zu existieren. In seinem Ausblick auf die weltwirtschaftliche Entwicklung vom September 2004, im Kapitel III über demographischen Wandel und Wirtschaftswachstum, S.27f. (pdf 282kb) wird wenigstens eingeräumt, dass dadurch auch der Konsum sinkt und sich die Wachstumsraten im Modell kaum verändern (“it also reduces consumption, and real GDP growth rates in the model are actually little affected“).

Aber die Grundannahme ist die selbe: eine Erhöhung der Ersparnisse senke die Realzinsen und steigere die Investitionen (“this increase in saving lowers real interest rates and boosts investment“). Abgesehen von dem erwähnten Trugschluss wird hier auch noch entgegen der Realität angenommen, Ersparnisse würden die Investitions- und Verschuldungsbereitschaft der Unternehmen unmittelbar und 1:1 erhöhen, völlig unabhängig von anderen Faktoren, die von Unternehmen dabei in Betracht gezogen werden (wie wär’s etwa mit dem Wachstum der inländischen Konsumnachfrage?).

Natürlich ist das eine typische “neoklassische” Modellannahme: wie alle anderen Märkte wird auch der Geld-/Kreditmarkt stets und per definitionem “geräumt” – das Angebot schafft sich seine Nachfrage. Die Damen und Herren im IWF müssen aber außerdem seit mehr als zehn Jahren geschlafen haben: War da nicht irgendsowas wie das Platzen der Spekulationsblase in Japan und jahrelange Stagnation, unzureichende Inlandsinvestitionen, und das obwohl es Ersparnisse in Hülle und Fülle bei noch dazu negativen Realzinsen gab?

Im Fall Japans wanderte ein Großteil der “Ersparnisse” ins Ausland: Einerseits wurden v.a. US-Staatsanleihen erworben, andererseits investierten japanische Unternehmen mehr im Ausland als im Inland – was angesichts der stagnierenden Nachfrage in Japan ja auch zu erwarten war.

Verschärfung statt Lösung des Problems

Nun braucht man nur mehr 1 und 1 zusammenzuzählen, um zu erkennen, dass ein zusätzliches “Angstsparen” der Bevölkerung plus Kapitaldeckungsverfahren sich doppelt negativ auswirken muss: Erstens reduziert sich die inländische Konsumnachfrage, zweitens wandert ein Teil der Ersparnisse ins Ausland (was es ja laut den BefürworterInnen einer solchen Reform auch soll). Um anzunehmen, dass daraus etwas anderes resultieren können soll als eine Reduktion der Gesamtnachfrage im Inland (sowohl der Konsum- als auch der Investitionsnachfrage), muss man ein ziemliches Brett vor dem Kopf haben.

Vorläufiges Fazit: Der Versuch, einem drohenden Problem bei der Pensionsfinanzierung durch Kürzungen der Zusagen und vermehrte private Vorsorge per Kapitaldeckung entgegenzuwirken, muss zu geringerem Wachstum führen und wird daher das befürchtete Problem nicht lösen, sondern verschärfen – eine Abart einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Aber was ist das Problem? In einem Umlageverfahren angeblich der zu erwartende steigende Anteil der Transferzahlungen an die aus dem Produktionsprozess ausgeschiedenen Menschen am laufenden Einkommen der arbeitenden Bevölkerung (ob Selbständige oder Unselbständige).

Diese Diagnose beruht auf einer politischen und einer wirtschaftlichen Argumentation. Politisch, weil angenommen bzw. vorhergesagt bzw. befürchtet wird, solche Transferzahlungen wären gegenüber der arbeitenden Bevölkerung irgendwann nicht mehr politisch durchsetzbar. Wirtschaftlich, weil sie in Form der “Lohnnebenkosten” die Arbeitskosten erhöhen, während derzeit ja versucht wird, diese Lohnnebenkosten zwecks Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu senken.

Konturen einer Lösung: Die Geldbrille abnehmen

An den genannten “politischen” Aspekt des Problems sollte man m.E. am besten auch “politisch” herangehen: Die nicht-ökonomische Natur des so genannten “Generationenvertrags” sollte anerkannt und die Geldtransfers, die zur Erfüllung der Pflichten aus diesem Vertrag erforderlich sind, als lediglich begleitendes oder vermittelndes Instrument betrachtet werden.

Rechte und Pflichten aus einem möglichen neuen Generationenvertrag sollten also in einem ersten Schritt nicht in “Geld” ausgedrückt werden, sondern jene Güter und Dienstleistungen definieren, die eine Gruppe der Gesellschaft (die Leistungspflichtigen) der anderen (den Anspruchsberechtigten) bereitzustellen hat.

Diese Herangehensweise bietet m.E. den Vorteil, die konkrete Wirklichkeit der gesellschaftliche Beziehungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und damit auch die nicht über Geld vermittelten Leistungen zu erfassen. Dazu gehören insbesondere Pflege- und Betreuungsleistungen, die heute in erster Linie von Frauen unentgeltlich für Angehörige oder andere bedürftige Menschen erbracht werden.

Sichtbar werden damit nicht nur gesellschaftliche Bereiche außerhalb der Geldökonomie, sondern auch mögliche zukünftige Engpässe bei den tatsächlich vorhandenen Ressourcen.

Pflegeleistungen sind bekanntlich “arbeitsintensiv”. Die demographische Entwicklung könnte zu einem Missverhältnis zwischen dem Bedarf an solchen Leistungen und den zu ihrer Bereitstellung verfügbaren Menschen führen. Das würde die “Kosten” dieser Leistungen ungeachtet der Form ihrer Erbringung – durch den Staat, durch Unternehmen oder unentgeltlich – in die Höhe treiben. Eine rein monetäre Kalkulation von Pensionsansprüchen unter Fortschreibung aktueller Verhältnisse könnte sich als hoffnungslos inadäquat erweisen.