Venezuela/USA: Szenen einer (Zwangs-)Ehe

Venezuelas Drohung mit einem Öllieferboykott gegen die USA ist reine Rhetorik.

Venezuela und die von Präsident Hugo Chávez vorangetriebene “bolivarianische Revolution” zieht seit Jahren das Interesse von KritikerInnen der Globalisierung und antikapitalistischer Gruppierungen auf sich. Dafür gibt es Gründe (siehe Kasten).

Die “bolivarianische Revolution” verdient Aufmerksamkeit.

Einerseits geht es um die Frage, inwieweit die Maßnahmen der Regierung (Sozial- und Gesundheitsprogramme, Landreform/-enteignungen, Gründung staatlicher Lebensmittelketten, Förderung von Kooperativen/Genossenschaften, Mikrokreditprogramme etc.) eine zukunftsweisende Transformation der venezolanischen Gesellschaft darstellen und/oder Modellcharakter für andere Länder haben. Eine Beurteilung dieses Aspekts ist m.E. nur auf Basis eingehender Analysen vor Ort möglich.

Eine andere Frage ist, ob die Regierungspolitik geeignet ist, die Erdölabhängigkeit des Landes und die damit verbundenen Strukturprobleme der inländischen Produktion und des Außenhandels zu überwinden – m.a.W., eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft Venezuelas einzuleiten. Da habe ich meine Zweifel, die ich zum Teil in meinem Südwind-Artikel Im Notstrombetrieb von Juni 2004 festgehalten habe: Dass sich der Aufschwung in Venezuela bisher nicht als “Strohfeuer” erwiesen hat, beruht weitgehend auf den anhaltend hohen Ölpreisen.

Was aber die meisten Emotionen hervorzurufen scheint, ist die Anti-US-Rethorik von Präsident Chávez in internationalen Foren nebst wiederholten Drohungen, die Öllieferungen an die USA im Falle einer (tatsächlichen oder “drohenden”) US-Intervention einzustellen. Dies ist offenbar Balsam insbesondere für jenen Teil des “antiimperialistischen” Lagers, der sich seit dem Zerfall der Sowjetunion auf der Suche nach einem neuen Bannerträger befindet.

Emotional kann ich das nachvollziehen, rational aber nicht.

Erstens kann ich keinen “Antiimperialismus” in einer Politik erkennen, die sich darauf reduziert, dem einen “Herren” (USA) die Verweigerung der Gefolgschaft anzudrohen, um sich einem anderen (v.a. China) anzudienern. Denn zweifellos verlagert sich das “Zentrum” des Weltkapitalismus auf das asiatische Festland, so wie früher von Europa nach Nordamerika. Allenfalls “antiimperalistisch” wäre eine Politik, die Venezuela aus der Abhängigkeit von Erdölexporten befreit.

Zweitens ist die Ölboykott-Drohung eine leere Drohung – aus mehreren Gründen. In Venezuela wird ein schweres, “saureres”, d.h. schwefelreicheres Erdöl (“sour crude”) gefördert, das in spezialisierten Raffinierien weiterverarbeitet werden muss. Freie Raffineriekapazitäten für dieses Öl sind weltweit Mangelware (deshalb ist auch das zuletzt zusätzlich geförderte “sour crude” aus Saudi-Arabien nicht begehrt), und das von Venezuela in die USA exportierte Rohöl wird zu einem großen Teil vom US-Raffinerieunternehmen CITGO verarbeitet, einer Tochter der PDVSA, der staatlichen Erdölgesellschaft Venezuelas.

D.h., es gibt noch keinen Markt für venezolanisches Rohöl, der den US-Markt ersetzen kann, und Venezuela würde im Falle einer Einstellung der Öllieferungen in die USA schwere Einbußen an lebensnotwendigen Exporteinnahmen hinnehmen müssen und nebenbei den Kollaps der staatseigenen CITGO riskieren. Darüber hinaus gibt es auch logistische Engpässe (Tankerflotte), die eine Umleitung größerer Mengen venezolanischen Rohöls nach Asien bzw. von Rohöl aus dem Nahen Osten in die USA schwierig erscheinen lassen, abgesehen vom doppelten Preisnachteil (höhere Transportkosten + schlechtere Qualität).

Zweifellos würde ein Lieferboykott Venezuelas auch wegen dieser Engpässe und Problemen mit der Raffineriekapazität die Rohölpreise weiter in die Höhe treiben. Am schlimmsten getroffen wären aber nicht die USA, sondern Venezuela selbst und andere ölimportierende Entwicklungsländer außerhalb der Nachbarschaft Venezuelas, die nicht mit Raffinerieprodukten aus Venezuela versorgt werden wie etwa Kuba und andere kleine Karibikstaaten. (Zu den Folgen hoher Ölpreise in Entwicklungsländern siehe u.a. meinen Südwind-Artikel Ölschock auf Raten, November 2005.)

Und schließlich hätten die USA erst dann ein Motiv für eine Intervention in Caracas, wenn strategische US-Interessen bedroht wären. Das wäre jedoch nur dann der Fall, wenn Venezuela plötzlich aufhört, weiter brav Öl zu liefern. Dafür hat Venezuela wiederum keinen Grund – was auch in Washington kein Geheimnis ist. Die USA brauchen venezolanisches Öl, und Venezuela braucht den US-Markt. Was wir beobachten können, sind insofern eher “Szenen einer Ehe”: Eine Scheidung kann sich keiner von beiden leisten.

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