Ein Stein kommt ins Rollen

[September 2001]

Mit Nigeria setzt erstmals ein afrikanisches Land in größerem Maßstab Generika zur Aids-Therapie ein. Ob der neue Weltgesundheitsfonds diese Strategie mitfinanzieren soll, ist noch umstritten.

Siehe auch Nationale Notstände sowie die Inhalte unter gesundheit und aids/hiv

Was die Regierung in Nigeria im September in Angriff nimmt, ist ein zweifacher Meilenstein: Erstmals wird mit 15.000 Erwachsenen und Kindern eine größere Gruppe HIV-positiver Menschen in Afrika antiretrovirale Medikamente erhalten, die ihr Leben um Jahre verlängern können. Es geht auch um den Nachweis, dass antiretrovirale Therapie in Afrika trotz Infrastrukturengpässen erfolgreich sein kann – Gegenstand vieler Vorbehalte, die der Aids-Botschafter von UN-Generalsekretär Kofi Annan für Afrika, Stephen Lewis, als “grausame und rücksichtslose Verzerrung der Realität” bezeichnet: “Mit dem, was jetzt verfügbar ist, können Millionen von Leben gerettet werden”. Und außerdem stammen die Medikamente von einem Generikaproduzenten: Nigeria hat die antiretroviralen Cocktails zum Jahrespreis von 350 US-Dollar von der indischen Cipla erworben.

Damit hat Nigeria eine Vorreiterrolle übernommen, die eigentlich Südafrika zu Gesicht stünde, dem mit rund fünf Millionen Aids-Infizierten weltweit am stärksten betroffenen Land. Doch erst Mitte August erklärte der oberste Gesundheitsbeamte Südafrikas, die Medikamente seien noch immer zu teuer. Und die führende Aids-Aktionsgruppe am Kap, Treatment Action Campaign, hat nun die Regierung geklagt, weil Pretoria weiterhin die Behandlung HIV-positiver schwangerer Frauen mit Nevirapin blockiert, das die Übertragung des Virus auf die Kinder verhindern kann.

Andererseits bietet der südafrikanische Versicherer Capital Alliance seit August erstmals eine Polizze, mit der Unternehmen für Aids-Erkrankungen ihrer Beschäftigten vorsorgen können. Die Behandlungskosten für HIV/Aids, so Capital Alliance-Chef Des Martin, seien nun “nicht viel höher als bei anderen chronischen Krankheiten”. Und Aspen Pharmacare, Südafrikas größtes Pharmaunternehmen, will die antiretroviralen Medikamente Zerit (Stavudin) und Videx in Eigenregie herstellen – mit Vorprodukten von Hetero Drugs, neben Cipla und Aurobindo eine der drei indischen Pharmafirmen, die Generika für Aids-Kombinationstherapien anbieten. Der Weg ist frei: Bristol-Myers Squibb, Miteigentümer des Zerit-Patents, will afrikanische Generikaproduzenten gewähren lassen, solange die Medikamente in Afrika bleiben.

Dies entspricht der Strategie der Pharmaindustrie, sich durch Preissenkungen und andere Angebote an arme Länder aus dem Schussfeld der Kritik zu nehmen. Das US-Unternehmen Pfizer etwa stellt sein Aids-Medikament Diflucan nun den 50 ärmsten Länder der Welt gratis zur Verfügung. Mit Diflucan wird Kryptokokken-Meningitis behandelt, eine für viele Aids-Kranke tödliche Pilzinfektion. Und GlaxoSmithKline hat ihr Billigangebot von Medikamenten gegen Malaria, Durchfall und Infektionskrankheiten auf alle Entwicklungsländer ausgedehnt. Die britische Hilfsorganisation Oxfam dazu: “Mehr konnten wir von einem einzelnen Unternehmen vernünftigerweise nicht erwarten”.

Auch auf WTO-Ebene gibt es positive Anzeichen. Ende Juni haben die USA ihre Einwände gegen Pharmabestimmungen des brasilianischen Patentgesetzes zurückgezogen; für Mitte September ist das bereits zweite WTO-Treffen zum Thema Patentschutz und Gesundheitsversorgung anberaumt. Und der von Kofi Annan vehement geforderte Weltgesundheitsfonds wurde beim Gipfel der reichen Industrieländer in Genua im Juli offiziell ins Leben gerufen. Der Fonds, dessen Mittel für Aids, Malaria und Tuberkulose bestimmt sind, soll seine Arbeit am 1. Jänner 2002 aufnehmen. Die Dotierung ist vorläufig mager: Per 7. August beliefen sich die Zusagen auf rund 1,4 Milliarden Dollar, weit unter dem kalkulierten Mindestbedarf (siehe Tabelle).

Doch dies steht gar nicht im Mittelpunkt der Kritik. Hat der Fonds nicht den klaren Auftrag, Medikamente zum günstigsten Preis einzukaufen, also auch bei Generikaproduzenten, dann wird damit vor allem die Pharmaindustrie des Nordens subventioniert, sagt etwa Ärzte ohne Grenzen. Und für viele NGOs ist der Fonds nur ein Feigenblatt für die Knausrigkeit der reichen Länder: Sie haben ihre Hilfe an Afrika von 1994 bis 1999 von 23,4 auf 15,3 Mrd. Dollar gekürzt und finden nichts dabei, von den selben Ländern Schuldendienst in Milliardenhöhe einzutreiben. Würde die Hilfe der OECD-Länder dem UNO-Ziel von 0,7% des Bruttoinlandsprodukts entsprechen, wären jährlich zusätzlich 100 Mrd. Dollar verfügbar. Höchste Zeit für die reichen Länder, Farbe zu bekennen.

Mittel für Aidsbekämpfung im Süden, US-Dollar
 Ausgaben 2000 1,8 Mrd.
 Mindestbedarf 2005 9,2 Mrd.
 Beitrag Entwicklungsländer 3 – 4,6 Mrd.
 Beitrag reiche Länder 4,6 – 6,2 Mrd.
 Zusagen für Weltgesundheitsfonds, August 2001 1,4 Mrd.
 Zum Vergleich:
 EZA der OECD 2000 ca. 55 Mrd.
 0,7% d. BIP: ca. 150 Mrd.
 Pharmagewinne 2000 (5 größte Konzerne) ca. 24 Mrd.
 Quelle: Schwartländer et. al., 2001; UNAIDS; eigene Berechnungen

 

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