Jede Menge Greißler – Re-Regionalisierung der Wirtschaft

[März 1998]

Die international agierenden Konzerne setzen durch stetige Rationalisierungsmaßnahmen immer mehr Arbeitskräfte frei. Kann eine Reorientierung auf regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe Arbeitsplätze sichern und selbstbestimmtere Lebensformen hervorbringen?

Die Globalisierung ist heute zwar in aller Munde. Doch regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe werden in Zukunft überall an Bedeutung gewinnen (müssen). Sie werden das Gewicht einer am Weltmarkt orientierten Produktion zurückdrängen. Dies wird allein schon der erforderliche Umbau der Wirtschaft gemäß den Prinzipien der Nachhaltigkeit bewirken. Die langfristige Sicherung unserer Ernährung etwa ist nur durch eine ökologische, regional integrierte Landwirtschaft zu leisten; zahlreiche internationalisierte Produktionszusammenhänge sind aufgrund ihrer hohen Umweltkosten nicht zukunftsfähig.

Zudem stehen viele Regionen inmitten der reichen Länder jetzt schon vor der Wahl, sich entweder verstärkt auf die eigenen Ressourcen zu konzentrieren oder unterzugehen. Eine 1992 publizierte Studie der Europäischen Kommission kam zu dem Schluß, daß in Europa die Existenz von rund 100.000 Gemeinden in Frage steht. Sie haben im Nullsummenspiel der Standortkonkurrenz keine Chance – und wenn sie eine haben, dann eben kraft ihrer Besonderheiten.

In diese Richtung gingen Überlegungen zum wirtschaftlichen Bestehen Österreichs in der Europäischen Union. Vom “Feinkostladen Europas” war da die Rede. Aber brauchen wir nicht eher mehr Greißler für die Nahversorgung?

Die Reorientierung auf die lokalen Ressourcen ist also ein Stück weit der Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen. Dieser Prozeß bietet jedoch auch eine große Chance: Die Kleinräumigkeit macht es prinzipiell möglich, über das Was, Wo und Wie von Produktion und Konsum verstärkt im Rahmen eines partizipatorischen Prozesses zu entscheiden. Es geht um die Möglichkeit einer teilweisen Rückführung der Wirtschaft unter demokratische Kontrolle; die Umkehrung der Tendenz, immer mehr Entscheidungen der Rationalität des Marktes zu überantworten und demokratische Willensbildung zur bloßen Staffage zu reduzieren, wenn nicht überhaupt zu unterlaufen.

Insoweit dies gelingt, werden unsere zukünftigen Lebens- und Arbeitsformen weit mehr als bisher von unseren eigenen, individuell und kollektiv getroffenen Entscheidungen abhängen und nicht bloß davon, was uns Zukunftswerkstätten, Technik, Medien oder Werbung nahelegen. Eine solche Entwicklung wird durch positive Rückkoppelungsprozesse begünstigt, die sich zumindest in zwei Bereichen ergeben werden: im Zusammenhang mit der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft sowie im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Verteilung von Arbeit und Einkommen. Dazu wird es zwangsläufig kommen: Kein Weg führt zur Vollbeschäftigung zurück, und selbst der ökologische Umbau wird wesentliche Rationalisierungseffekte bewirken.

Beim Wandel zur Nachhaltigkeit ergibt sich eine Rückkoppelung, da jeder diesbezügliche Fortschritt die Autonomie erhöht, diese aber wiederum mehr Spielraum für neue Gestaltungsmöglichkeiten und Autonomiegewinne erzeugt. Dabei ist vorausgesetzt, daß dieses gewaltige Vorhaben grundsätzlich nur unter aktiver Beteiligung der Mehrheit der Menschen denkbar ist, und zwar weit über individuelle Kaufentscheidungen hinaus.

Diese vielbeschworene “Macht der Konsumenten” ist nämlich begrenzt: Das zeigt sich am Beispiel der Probleme bei der Kennzeichnung gentechnisch produzierter Lebensmittel genauso wie am importierten “Atomstrom”; auch ein öffentliches Verkehrsmittel für unterversorgte Regionen läßt sich nicht herbeikaufen, sondern nur politisch durchsetzen.

Ein Beispiel im großen Rahmen: Wenn es gelingt, die Umweltkosten des Transports in die Preise von Gütern und Dienstleistungen zu integrieren, werden viele Transporte bzw. Importe unrentabel bzw. unnötig, da sie durch regionale, nunmehr billigere Produkte ersetzt werden können. Außerdem wird eine flächendeckende nachhaltige Landwirtschaft aufgebaut. Die Folge: Der internationale Wettbewerbsdruck nimmt ab, die Importabhängigkeit – und über die Verbesserung der Handelsbilanz auch die Exportabhängigkeit – sinkt. Die Autonomie wächst und damit auch die Verhandlungmacht gegenüber international operierenden Unternehmen, was wiederum die Erfolgschancen politischer Opposition erhöht. Ähnliches gilt bei einer Umstellung auf lokale, erneuerbare Energiequellen.

Darüber hinaus wird ein Großteil des Veränderungsbedarfs im unmittelbaren Wohn- und Lebensbereich anfallen. Um hier zu befriedigenden Lösungen zu gelangen, ist eine enge Kooperation zwischen BürgerInnen, Unternehmen und Behörden erforderlich. Produzentinnen und Konsumenten rücken näher aneinander, wie es heute bereits bei Erzeuger/Abnehmergemeinschaften für landwirtschaftliche Produkte der Fall ist.

Ähnliches wird sich im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit ergeben: Ortsgebundene, persönliche Dienstleistungen sind neben Reparatur- und Wartungsarbeiten der einzige sichere Wachstumsbereich. Bedarfsorientierte Lösungen etwa für die Kinder- und Altenbetreuung erfordern ebenfalls eine enge Zusammenarbeit aller Betroffenen auf lokaler Ebene.

Eine weitere Möglichkeit zeichnet sich in einigen europäischen Krisenregionen ab. Dort haben sich in Reaktion auf Betriebsschließungen und Langzeitarbeitslosigkeit selbstverwaltete Unternehmen auf Basis des Prinzips “lokale Arbeit für lokale Bedürfnisse” gebildet; ein europäisches Netzwerk für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung existiert bereits. Vorhandene materielle und humane Ressourcen werden genutzt, um bislang ungedeckten Bedarf an Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen. Selbstbestimmung, das heißt Mitsprache bei der Gestaltung der Arbeit und ihrem Zweck, ist für den Erfolg entscheidend.

Solche Unternehmensformen könnten sich auch in anderen Regionen verbreiten, vermehrt Expertinnen und Experten mit ihrem Know-how aus dem privatwirtschaftlichen Sektor anziehen und etwa technisch innovative “maßgeschneiderte” Produkte für lokale Märkte herstellen. Da die Arbeitslosigkeit weiter wächst, sollten die Behörden an der Förderung solcher Projekte interessiert sein. Dies ist vor allem bei den Gemeinden zu erwarten, denn auf sie werden die Kosten der Arbeitslosigkeit im wesentlichen abgewälzt.

Sofern sich ein Grundeinkommen für alle durchsetzt, wird als Nebeneffekt die Angst vor dem Verlust der materiellen Existenz abnehmen; dies eröffnet mehr Handlungsoptionen in allen Lebens- und Arbeitsbereichen. Die Art der Finanzierung und der Begleitmaßnahmen – etwa die Streichung aller übrigen Sozialleistungen – wird von den politischen Kräfteverhältnissen abhängen.

Öko-Steuern auf Material und Energie haben den Nachteil, mit dem Erfolg ihres Lenkungseffekts die Steuerbasis zu untergraben. Denkbar wäre eine Bodenwertsteuer, wobei die Grundrente abgeschöpft würde, also das aufgrund des bloßen Bodeneigentums erzielte Einkommen inklusive Wertsteigerungen. In der Schweiz könnte eine solche Steuer nach inoffiziellen Berechnungen 100 Milliarden Franken jährlich einbringen.

Wie wird sich die Spaltung in einen international orientierten “Hochlohnsektor” und einen regional/lokal orientierten Sektor mit niedrigem Einkommen bewältigen lassen? Die prominente Studie “Zukunftsfähiges Deutschland” des Wuppertal-Instituts glaubt zwar an ein friedliches Nebeneinander: Sie setzt auf die Attraktivität einer selbstgenügsamen Existenz, wobei aus dem Hochlohnsektor herausgefallene Menschen ihr Einkommen in “Eigenarbeit” mit Bastel- und Reparaturarbeiten in kommunalen Werkstätten oder mit Gemüseanbau und Wohnungssanierungen aufbessern.

Diese Vision erscheint aber unrealistisch, solange die Entwicklung zu wachsender Einkommensungleichheit und Vermögenskonzentration nicht gestoppt wird. Weshalb sollte sich gerade bei den zukünftigen Rationalisierungsopfern die Bereitschaft zum freiwilligen Konsumverzicht einstellen, während der Rest weiterlebt wie zuvor? Es ist eher von erheblichen Verteilungskonflikten auszugehen, die uns alle unmittelbar betreffen dürften.

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