China: Retter in der Not

[April 2009]

Die weltweite Wirtschaftskrise ermöglicht China, sich billig mit Rohstoffen einzudecken und seine Versorgungssicherheit mit Krediten und Kapitalspritzen zu erhöhen. Gut für alle Beteiligten – außer das “nationale Interesse” kommt ins Spiel.

Ob China die Weltwirtschaft im Alleingang retten kann, ist fraglich. Dass ein Großteil der Finanzwelt genau das erhofft, weit weniger: Als Regierungschef Wen Jiabao Anfang März wider Erwarten doch kein zweites Konjunkturpaket ankündigte, verwandelte sich der eben begonnene Höhenflug an den Börsen wieder ins Gegenteil.
Ein Trost: Notfalls wird die Regierung in Beijing sicher “nachlegen”. Auch ist das Bankensystem nur zu gern bereit, die Kreditschleusen wieder weit offen zu halten, und ein guter Teil der übermäßigen Kreditexpansion der Boomjahre anderswo hat sich in China als Währungsreserven angesammelt, die knapp 2.000 Mrd. US-Dollar umfassen. Damit lässt sich einiges anfangen, vor allem, wenn im Rest der Welt Geld knapp und alles viel billiger geworden ist, von Rohstoffen bis zu ganzen Unternehmen.

Dass die Krise als Chance zu begreifen sei, hört man inzwischen rund um den Globus. Die – durchaus offizielle – chinesische Sicht formulierte Anfang März Wang Jian, Generalsekretär der Chinesischen Vereinigung für Makroökonomie, ein Forschungsinstitut der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission: “Wir sollten die niedrigen Preise nutzen, um mehr Rohstoffe, Ölfelder und wertvolle Vermögenswerte in den USA zu kaufen.”

Genau das geschieht auch – und was gut für China ist, ist derzeit gut für die Welt. Einmal die beschleunigten Infrastrukturinvestitionen, die die weltweite Nachfrage nach Industriemetallen ankurbeln. Dazu kommt die Bildung staatlicher Reserven, Vorsorgemaßnahmen, die bisher wegen der hohen Preise zurückgestellt wurden. Beides stützt die Weltmarktpreise und hilft damit den Produzenten und Exportländern. Mit Rekordimporten in den ersten beiden Monaten des Jahres gelang es China sogar, den Kupferpreis um 20% nach oben zu treiben. Beim Öl funktioniert es jedoch nicht: Die Ölimporte fielen im selben Zeitraum auf ein Zweijahrestief, nachdem sie noch im Dezember im Jahresvergleich um mehr als um 11% gestiegen waren.

Niedrige Ölpreise eröffnen China jedoch weitere Win-Win-Geschäfte – zumal dann, wenn die Produzenten an Liquiditäts- und Finanzierungsproblemen leiden. Modell: Hier Geld – da langfristige Liefergarantie zu günstigen Preisen. Mitte Februar gelang es etwa, ein Abkommen mit Russland unter Dach und Fach zu bringen. Die staatliche China Development Bank gewährt dem Ölunternehmen Rosneft und dem Pipelinemonopol Transneft 15 Mrd. bzw. zehn Mrd. Dollar Kredit. Rosneft braucht das Geld, um im zweiten Quartal fällige Auslandsschulden von 8,5 Mrd. Dollar zu bezahlen. Die Gegenleistungen: Bau einer Pipeline nach China sowie eine 20-jährige Liefergarantie von rund 300.000 Barrel Öl pro Tag.
Wenige Tage danach folgte eine Absichtserklärung über einen zehn Mrd. Dollar-Kreditrahmen der China Development Bank für die staatliche brasilianische Petrobras ab 2010 – eine willkommene Hilfe bei der kostspieligen Erschließung der enormen Offshore-Erdölvorkommen, die erst für 2009 durchfinanziert ist. Der Deal soll im Mai unterzeichnet werden, wenn Brasiliens Präsident Lula da Silva China besucht. Petrobras wird im Gegenzug u.a. Öllieferungen (100.000 bis 160.000 Barrel pro Tag) an China National Petroleum (CNPC) und Sinopec zusichern.

Größte Auslandsengagements chinesischer Unternehmen Mrd. US-Dollar
 Feb 09 Chinalco Rio Tinto (Bergbau) 19,5
 Feb 08 Chinalco und Alcan Rio Tinto 14,2
 Mar 08 Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) Standard Bank Group (Finanz) 5,6
 Dez.07 China Investment Corp. (CIC) Morgan Stanley (Finanz) 5,0
 Aug 05 China National Petroleum (CNPC) Petro Kazakhstan (Öl) 4,0
 Aug 06 Sinopec (Öl) OAO Udmurtneft (Öl) 3,5
 Mai 07 China Investment Corp. (CIC) Blackstone (Finanz) 3,0
 Jul 07 China Development Bank Barclays Bank (Finanz) 3,0
 Jän.08 CNOOC (Öl) NNPC-OML (Nigeria, Öl) 2,7
 Nov.07 Ping An (Versicherung) Fortis (Finanz) 2,7
  Quelle: Reuters, 6. März 2009

Darlehen und Lieferverträge sind eine Sache, direkte Beteiligungen eine andere – vor allem dann, wenn die neuen Aktionäre staatlicher Natur sind oder unter staatlichem Einfluss stehen, was bei chinesischen Investoren oft der Fall ist. Staatsbeteiligungen mögen zwar eben wieder in Mode gekommen sein; ihre “grenzüberschreitende” Variante sorgt aber weiter für Unbehagen.
Entsprechend heiße Diskussionen gibt es derzeit in Australien, dem Hauptziel der offiziell geförderten chinesischen Auslandsbeteiligungen, die sich seit dem Verfall der Rohstoffpreise und den entsprechenden Finanzproblemen der Bergwerksbranche vervielfältigt haben. Mitte Februar wurde das bisher größte Auslandsengagement eines chinesischen Unternehmens bekannt gegeben: Eine Kapitalspritze des staatlichen Aluminiumherstellers Chinalco für den australischen Bergwerksriesen Rio Tinto (Nr. 3 der Welt) in Höhe von knapp 20 Mrd. Dollar.

Wie die russische Rosneft kann auch Rio Tinto das Geld gut gebrauchen: Die Übernahme des kanadischen Aluminiumkonzerns Alcan 2007 hat die Schulden des Unternehmens auf rund 40 Mrd. Dollar steigen lassen, und knapp 20 Mrd. davon werden in den nächsten beiden Jahren fällig. Chinalco ist bereits seit Februar 2008 zu 9% an Rio Tinto beteiligt. Im Rahmen des neuen Geschäfts würde Chinalco um 7,2 Mrd. Dollar Wandelanleihen erwerben; bei ihrer Umwandlung in Aktien würde sich der Chinalco-Anteil auf ca. 18 Prozent verdoppeln.
Chinalco ist nur der größte Brocken. Kurz danach übernahm etwa die staatliche China Minmetals das hochverschuldete australische Zinkunternehmen Oz Minerals, und die erst 2008 gegründete China Investment Corporation (CIC) verhandelt über eine Beteiligung am australischen Eisenerzkonzern Fortescue, an dem eben erst das chinesische Stahlunternehmen Hunan Valin einen 16,5%-Anteil erworben hat. Alle diese Geschäfte unterliegen einer Genehmigung nach den australischen Übernahmegesetzen, wonach ihre Vereinbarkeit mit den nationalen Interessen des Landes zu prüfen ist.

Wie die zuständige australische Kommission entscheiden wird, ist nicht nur für den Umgang mit einem immer stärkeren China von Interesse, sondern auch in Hinblick auf die staatlichen Investmentfonds (Sovereign Wealth Funds, SWF), deren Aktivitäten bereits zu Boomzeiten Bedenken ausgelöst haben (siehe Neue Sorgen im Norden (Oktober 2007)). Zwar haben etwa Temasek (Singapur) oder die Kuwait Investment Authority 2008 empfindliche Verluste realisiert. Doch die Vermögen der SWF insgesamt stiegen im letzten Jahr dank hoher Zuflüsse weiter – von 3.300 Mrd. auf 3.900 Mrd. Dollar, schätzt International Financial Services London. In Relation zu den derzeit stark gesunkenen Vermögenspreisen hat die Bedeutung der SWF also erheblich zugenommen.
Allerdings konzentrieren sich einige Fonds derzeit auf die Unterstützung der nationalen Wirtschaft (z. B. Kapitalisierung der Banken), während andere noch zuwarten und ihr Vermögen vor allem in liquiden Mitteln halten, wobei es sich großteils um US-Staatsanleihen handeln dürfte. Was sie übrigens mit China gemeinsam haben: Dass Beijing diese niedrig verzinsten und von einer Dollarabwertung bedrohten Währungsreserven nicht weit aggressiver in realere Vermögenswerte umwandelt, ist vielleicht der derzeit bedeutendste Beitrag Chinas zur Stabilisierung der Weltwirtschaft.

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