G7: Reich und ratlos

[Dezember 1998]

Zur Reform des internationalen Finanzsystems haben die reichen Industrieländer derzeit kaum Neues zu bieten.

Wie und wie weit sollten die internationalen Finanzmärkte reguliert werden? Diese Frage steht seit dem Crash der südostasiatischen Tigerstaaten vor eineinhalb Jahren im internationalen Brennpunkt. Und das zu Recht: Allein 1998, schätzt die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), dürften die Kosten der Krise 260 Milliarden US-Dollar betragen. Hauptbetroffen sind die Entwicklungsländer, deren Wachstum 1998 mit 2,5% erstmals seit vielen Jahren niedriger liegen wird als das der reichen Länder.

Ende Oktober meldete sich die G-7, die Gruppe der führenden Industrieländer USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada, mit entsprechenden Vorschlägen zu Wort. Wer sich Bahnbrechendes erhofft hatte, wurde jedoch enttäuscht. Im wesentlichen kündigte die G-7 dreierlei an: Die Erhöhung der Mittel des Internationalen Währungsfonds IWF um 90 Milliarden US-Dollar; eine neue IWF-Kreditlinie für unter den Druck der Finanzmärkte geratene Länder, die sich strikt an IWF-Programme halten (Näheres zu Volumen und Vergabekriterien muß erst beschlossen werden); und Maßnahmen zur Erhöhung der "Transparenz" (erweiterte Informationspflichten) und zur besseren Regulierung von Finanzinstitutionen (etwa hinsichtlich der Mindesteigenkapitaldecke von Banken) inklusive "Untersuchungen" über die Operationen spekulativer Finanzinstitutionen wie etwa von Hedge-Fonds.

Mit den neuen IWF-Ressourcen soll die Ausweitung der Krise auf weitere Länder gestoppt werden, und zwar vorerst auf Brasilien. Dem Land wird nun ein Kreditrahmen von 30 bis 45 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt, um den Wechselkurs des Real gegen spekulative Attacken und Kapitalflucht zu verteidigen. Denn fällt der Real, so die Befürchtung, dann auch der mexikanische Peso und andere regionale Währungen. Letzlich wäre auch die US-Wirtschaft betroffen – und damit einer der noch funktionierenden Motoren der Weltwirtschaft.

Brasilien war nach dem Kollaps des russischen Rubel neuerlich gezwungen, dutzende Milliarden US-Dollar zur Stützung des Real auszugeben und die Zinsen auf 42% hochzufahren. Bei einer Inflationsrate von nur 3,2% eine erdrückende Realverzinsung, die dem Land nicht nur eine Rezession bescheren, sondern über den Schuldendienst für Regierungsanleihen auch das Budgetdefizit erhöhen wird. Der Sinn der brasilianischen Währungspolitik ist nach den negativen Erfahrungen in Asien jedoch umstritten. IWF-Kritiker wie der Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs argumentieren für eine Abwertung des um bis zu 30% überbewerteten Real, eine Zinssenkung und folgende Ankurbelung der Exporte.

Tiefere systemische Probleme, wie sie die UNCTAD in ihrem jüngsten "Trade and Development Report" diagnostiziert, bleiben vom G-7-Vorschlag unberührt: Etwa das hohe Ausmaß rein spekulativer Kapitalbewegungen, die Tendenz der "Märkte", einseitig die Schuldner zu bestrafen, und die mangelnde Möglichkeit, sich gegen Zinserhöhungen und Abwertungen anderer Länder ähnlich zu wehren wie gegen Zollerhöhungen im Handel. Die UNCTAD fordert daher Kapitalverkehrskontrollen, einseitige Schuldenmoratorien und internationale Insolvenzverfahren nach dem Muster des US-Insolvenzrechts (eine "Tobin-Steuer" auf Finanztransaktionen ist offenbar nicht konsensfähig).

Doch selbst eine bloße Regionalisierung der Finanzmärkte könnte einiges bringen, meinen Experten – zumindest für Asien, den wichtigsten Nettogläubiger der Welt. Die Region legt ihre Währungsreserven von 800 Milliarden US-Dollar (indirekt) großteils in US-Regierungsanleihen und bei US-Banken mit einer Verzinsung von etwa 5% an, verschuldet sich jedoch gleichzeitig im Westen zu Zinsen von mehr als 10%. Ein Asiatischer Währungsfonds, den Japan bereits im August 1997 vorgeschlagen hatte (eine prompt von den USA abgeschossene Idee), könnte dieses Zinsdifferential auf 1% reduzieren, und die Begleichung der Schulden an den Westen wäre kein Problem. Die einzigen Verlierer dabei: westliche Finanzinstitutionen, die derzeit eine Risikoprämie fordern, die sie nicht verdienen.

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