Globalisierung 2.0: Gemischte Asien-Effekte

[April 2010]
Siehe auch den Artikel Zeitenwechsel (November 2006)

Mit dem weiteren Aufstieg Asiens wird die Weltwirtschaft nicht unbedingt entwicklungsfreundlicher – und die Weltverbesserung per “kritischem Konsum” könnte noch schwieriger werden.

externe links

Weltbank-Studie 02/2010 (Download-Seite)
Emerging Middle Class (OECD)
Zu China, Indien etc. ("Asian Drivers" ) allgemein: http://asiandrivers.open.ac.uk

“Sind wir jetzt alle Keynesianer?” Ein mit dieser ironischen Frage angedeuteter Abgesang auf den Neoliberalismus wäre wohl verfrüht, trotz der weltweiten Konjunkturpakete zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Klar scheint aber: Das bisherige Modell der Globalisierung, vorangetrieben durch die Nachfrage der Mittelschichten in Nordamerika und Europa, die im Wesentlichen von den Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens gedeckt wurde, wackelt gewaltig. Die US-VerbraucherInnen müssen sparen, und die Konjunktur in den reichen Ländern wird länger brauchen, um wieder anzuspringen – sofern das überhaupt geschieht.

Zweifellos markiert diese Krise einen historischen Wendepunkt – aber wohin geht die Reise? Die Beschäftigung mit dieser Frage hat in den Forschungsabteilungen multilateraler Institutionen derzeit Hochkonjunktur. Generell werden die Aussichten positiv beurteilt: Eine zweite “Welle” der Globalisierung steht bevor, die von der Nachfrage aus Asien dominiert sein wird. In bloß 20 Jahren, so ein Szenario, könnten China, Indien und der Rest Asiens jene Rolle spielen, die bisher Nordamerika und Europa vorbehalten war (siehe Kasten/Grafik zur globalen Mittelschicht).

Aber welche Folgen könnte diese Verlagerung der Importnachfrage Richtung Asien für die Entwicklungschancen der übrigen Länder im Süden haben? Dieser Frage wird in einer aktuellen Weltbank-Studie nachgegangen (What Are the Implications for Global Value Chains When the Market Shifts from the North to the South?, Raphael Kaplinsky & Masuma Farooki; Link zur Download-Seite). Das Ergebnis vorneweg: Diese “asiatische” Globalisierung könnte sich durchaus noch negativer auswirken als die bisherige – mit der Ausnahme, dass die Exportländer von dauerhaft hohen Rohstoffpreisen profitieren werden.

Im Zentrum der Analyse stehen die globalen Wertschöpfungsketten, die seit den 1970er Jahren mit dem Aufbau von Lieferkapazitäten in den asiatischen “Tigern” Hongkong, Südkorea, Singapur und Taiwan und später in China und anderswo entstanden. Ein Markenzeichen dieser Wertschöpfungsketten war, so die Autoren, eine wachsende “Standard-Intensität”: Die Unternehmen aus dem Norden waren an Qualitätssicherung, Kostensenkung, “Just in time”-Lieferung interessiert, die Regierungen führten Standards zum Schutz der VerbraucherInnen ein und letztlich begann sich eine kritische Zivilgesellschaft um die Ethik der Produktionsnetzwerke und ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu kümmern. Zulieferunternehmen im Süden konnten qua Anpassung an diese Vorgaben Lernprozesse durchlaufen, Kompetenzen erwerben und auch entlang der Wertschöpfungskette hinauf klettern, wofür es aufgrund der unterschiedlichen Lohnniveaus in Ex- und Importländern auch Spielraum gab.


Die “globale Mittelschicht” wird von heute 1,8 Mrd. bis 2030 auf 4,9 Mrd. Menschen anwachsen; zwei Drittel davon werden in Asien leben. Der Anteil Nordamerikas und Europas an den Konsumausgaben dieser Mittelschicht fällt von 64% auf 30%, der Anteil von Asien/Pazifik (inkl. Japan) steigt von 23% auf 59%, ergab eine Modellierung in einer aktuellen OECD-Studie (The Emerging Middle Class in Developing Countries, pdf).

Zu dieser Mittelschicht zählen alle Personen mit täglichen Konsumausgaben zwischen 10 und 100 Dollar (kaufkraftbereinigt, Basis 2005). Die untere Grenze entspricht dem Durchschnitt der Armutsgrenzen in Portugal und Italien, die obere dem doppelten Medianeinkommen in Luxemburg, dem reichsten Land der Welt.

Mögliche Ressourcenverknappungen (z.B. Öl) und Effekte des Klimawandels sind im verwendeten Wachstumsmodell allerdings nicht berücksichtigt.

All das ist jedoch kaum zu erwarten, wenn Unternehmen aus China oder Indien verstärkt als “Globalisierungsagenten” auftreten. Erstens konkurrieren diese Länder in vielen Industriebranchen aufgrund vergleichbarer Lohnniveaus mit den Exportländern: die Wertschöpfungstiefe, die Exportunternehmen überlassen oder profitabel ausgelagert werden kann, ist weit geringer. Zweitens sind sowohl Produkt- als auch Prozessstandards in den asiatischen Riesen weniger stark entwickelt oder existieren noch nicht. Drittens ist der Großteil der zukünftigen Mittelschicht-Angehörigen auf der Einkommensleiter noch Welten von der heutigen “globalen Mittelschicht” entfernt. Dadurch sind nicht nur die Ansprüche an die Produkte geringer, sondern auch die Chancen eines “kritischen Konsums”, der erst ab einem gewissen Pro-Kopf-Einkommen zu erwarten ist. Und mit der Entwicklung einer kritischen Zivilgesellschaft ist es ja zumal in China nicht weit her.

Eine Verlagerung des Außenhandels Richtung Asien müsste sich daher nachteilig auf technologische Aufholprozesse und die Industrialisierungschancen in Exportländern auswirken, so die Autoren. Zwei Fallstudien bestätigen die Hypothese: Sowohl im Cassava-Sektor in Thailand als auch in der Forstwirtschaft in Gabun, wo sich der Exportmarkt von der EU nach China verlagerte, sank die inländische Wertschöpfung und nahm die Bedeutung von Prozess- und Produktstandards ab. Doch die Autoren bleiben vorsichtig: Ähnliche Entwicklungen auch bei differenzierteren Produkten müssten erst nachgewiesen werden.

Dass der Aufstieg Asiens tatsächlich zu einer weiteren Deindustrialisierung oder Konzentration auf Rohstoffexporte im übrigen Süden führen wird, ist damit natürlich nicht gesagt. Angezeigt ist damit aber ein erheblicher Handlungsbedarf im Bereich der Handels- und Entwicklungspolitik, sofern diese Entwicklung vermieden werden soll. Fraglich ist aber, ob es der kritischen Zivilgesellschaft im Norden mit ihrem post-industriellen Gerechtigkeits- und Umweltbewusstsein gelingen kann, ihre bisherigen Erfolge im Nord-Süd-Austausch gegen die geballte Kaufkraft einer konsumhungrigen asiatischen Mittelschicht zu verteidigen. Ihr Gewicht wird jedenfalls zusehends geringer.

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