MAI/Investitionsabkommen: Strategischer Präventivschlag

[Mai 1998]

Das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) würde den multinationalen Konzernen der reichen Länder neue Absatzmärkte verschaffen und die Ausschaltung aufkommender Konkurrenz im Süden erleichtern.

Seit 1995 verhandeln die 29 Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) über einen Vertrag, der eine radikale Liberalisierung der Weltwirtschaft einleiten soll. Das Ziel des “Multilateralen Abkommens über Investitionen”: In jedem Bereich, in dem heute oder in Zukunft ein Geschäft gemacht werden kann, sollen ausländischen Investoren gleiche Bedingungen wie inländischen gewährt und diesbezügliche Klage- und Schadenersatzrechte eingeräumt werden. Diese neue “Weltwirtschaftsverfassung” soll vorerst im Rahmen der OECD in Kraft treten. Interessierte Entwicklungs- und Reformländer sind eingeladen, dem Abkommen später beizutreten.

Das Abkommen würde aufgrund seines umfassenden Anspruchs auch für die OECD-Länder mit gravierenden Folgen verbunden sein. Umstritten sind auch die Folgen auf nationales Umwelt- und Sozialrecht. Könnten etwa Investoren auf Schadenersatz klagen, wenn neue Umweltauflagen, Steuern, Sozialabgaben oder Arbeitnehmerschutzbestimmungen eingeführt werden? Könnte ein Investor ein Recht auf Ausbeutung von natürlichen Ressourcen einfordern, obwohl alle Konzessionen bereits vergeben sind? Oder könnten US-Tabakkonzerne ein nationales Tabakwerbeverbot zu Fall bringen, weil es neue Marktteilnehmer benachteiligt?

MAI: Umfassender Anspruch

Das MAI beruht auf der Anwendung der für den Welthandel geltenden Prinzipien der “Meistbegünstigung” und “Inländerbehandlung”: Die Staaten würden sich verpflichten, ausländische Investoren und deren Investitionen in jeder Hinsicht und auf jeder Verwaltungsebene untereinander gleich und zumindest ebenso günstig wie inländische zu behandeln. Dies gilt auch in bezug auf das Niederlassungsrecht.

Folgerichtig werden daher auch alle nur für ausländische Investoren geltenden Auflagen, sogenannte “Performance Requirements”, verboten. Als generelle Ausnahmen sind derzeit (Verhandlungstext vom 14. Februar 1998) nur Bereiche vorgesehen, die Fragen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ruhe und Ordnung betreffen. Länderspezifische Ausnahmen sind zulässig. Die einmal erreichte Liberalisierung soll “eingefroren” werden, eine weitere Liberalisierung wäre optional.

Im Sinne des radikalen Anspruchs setzt das MAI auf die “Top-down”-Methode – es gilt im Prinzip für jeden nicht explizit ausgenommenen Bereich – und auf einen umfassenden Begriff von “Investition”. Darunter fallen auch etwa Bankguthaben, Aktienbesitz, Markenrechte, Gewinnansprüche usw. Alle diesbezüglichen Gelder müssen frei transferiert werden können. Zum Schutz einer Investition sind ein Verbot von direkten und indirekten Enteignungen (und von Maßnahmen mit vergleichbarer Wirkung) und eine Schadenersatzpflicht vorgesehen. Diese umfaßt etwa auch entgangene Gewinne durch untersagte Investitionspläne. Bei Verlusten aus Krieg, Unruhen, Streiks etc. ist jedoch lediglich Gleichbehandlung mit inländischen Investoren vorgesehen.

Die Einhaltung dieser Kernbestimmungen soll über ein Streitschlichtungsverfahren zwischen Staaten mit Sanktionsmöglichkeit sowie durch ein internationales Verfahren gewährleistet werden, in dem ein Investor direkt gegen eine Regierung vorgehen kann. Regierungen oder geschädigte Privatpersonen würden dagegen bei Klagen gegen Investoren bloß auf nationale Rechtsordnungen oder internationales Privatrecht angewiesen bleiben.

Möglich scheint derzeit auch die Aufnahme einer bindenden Umwelt- und Sozialklausel und/oder ein Verbot der Herabsenkung entsprechender Standards.

Diese Probleme sind den Verhandlern erst spät aufgefallen. Nun soll zumindest die “gewöhnliche” Regulierungstätigkeit der Regierungen geschützt werden. Vielleicht wird es sogar verbindliche Umwelt- und Sozialklauseln geben. Allerdings könnte auch die Verpflichtung, etwa alle finanziellen Anreize allen Investoren gleichermaßen zu gewähren, wegen der steigenden Kosten eine Bremswirkung im Standortwettbewerb entfalten – ähnliches gilt für den Verzicht auf Durchsetzung von Umweltauflagen gegenüber einzelnen Unternehmen. Sicher ist allerdings, daß das MAI kein Umwelt- und Sozialpakt ist und auch die angesprochenen Probleme nicht lösen wird.

Was würde ein MAI für die Entwicklungsländer bedeuten? Vorneweg: Nützen würde es ihnen kaum. Auch nicht jenen Ländern, die bislang von ausländischen Investoren eher gemieden wurden, etwa in Afrika südlich der Sahara. Auf diese Region entfiel zuletzt lediglich 1% der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen (ADI). Hauptgründe: die politische Instabilität, Unsicherheit über die makroökonomische Politik, die Distanz zu Exportmärkten und die kleinen Binnenmärkte. Nichts davon würde ein MAI verändern.

Kleinere, entlegenere Entwicklungsländer haben weniger von einem MAI als von der fortschreitenden Handelsliberalisierung zu befürchten. Ihre Inlandsmärkte können durch Importe aufgerollt werden, und Bedingungen können sie Investoren auch heute schon kaum stellen. Beim MAI geht es nicht um die kleinen Fische. Es geht um die Vorteile, die aus einem “Einschluß der aufstrebenden Länder Asiens, Zentral- und Osteuropas und Lateinamerikas” in ein solches Investitionsabkommen entstünden, wie die Internationale Handelskammer (ICC) 1996 in einem Papier unterstrich.

Auf die genannten Regionen entfällt heute der Großteil der ADI multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern. 1997 waren es knapp 120 Mrd. US-Dollar, mit Schwerpunkt auf China. Weltweit stiegen die ADI – Neugründungen, Übernahmen, Privatisierungen, Joint ventures etc. – seit 1985 auf das Sechsfache und erreichten 1997 einen Umfang von 350 Mrd. US-Dollar. Das Ziel ist weniger der Aufbau von Exportplattformen als vielmehr die Eroberung strategisch günstiger Ausgangspositionen – ob nun im Hinblick auf die Verfügung über natürliche Ressourcen oder die Erschließung der Märkte der Gastländer. Durch “strategische Präventivschläge” – etwa ein massiver Markteintritt oder eine feindliche Übernahme – kann dabei die eigene Vormachtstellung abgesichert werden.

Dabei sind den Konzernen aber die noch bestehenden Kontrollmöglichkeiten der Entwicklungsländer im Wege. Sie können etwa ausländische Investoren zum eigenen Vorteil gegeneinander ausspielen und die eigene Industrie begünstigen, was für die Entwicklung der nationalen Wirtschaft sinnvoll sein kann. Dazu gehören etwa Verpflichtungen zur Bildung von Joint ventures mit inländischen Unternehmen, zum Technologietransfer oder Obergrenzen für ausländische Beteiligungen, aber auch die Bevorzugung inländischer Interessenten bei Privatisierungen. Und die spielen in Entwicklungsländern heute eine bedeutende Rolle: allein 1997 wurden Staatsbetriebe im Wert von 55 Mrd. US-Dollar verkauft.

Das MAI würde alle derartigen Begünstigungen und Bedingungen verbieten. Die geforderte “Gleichbehandlung” wäre zudem in der Regel eine Begünstigung der Multis. Gerade in Entwicklungsländern sind sie der inländischen Konkurrenz oft weit überlegen – vor allem im Hinblick auf Technologie, Marketing und Vertrieb, Produkt-Image oder ihre Integration mit Exportmärkten. Zusätzlich verfügen sie über Möglichkeiten zum steuervermeidenden Export von Gewinnen durch manipulierte Verrechnungspreise und können sogenannte “restriktive Geschäftspraktiken” anwenden, um für die Gastländer nachteilige Oligopole und Monopole zu bilden.

Eine Öffnung sämtlicher Wirtschaftsbereiche könnte die Chancen zum Aufbau einer eigenständigen Industrie schwer beeinträchtigen. Ein Beispiel liefert der US-Konzern Kodak in China, derzeit der drittgrößte Filmmarkt der Welt mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 20 und 40%. Im vergangenen März übernahm Kodak für 380 Mio. US-Dollar drei marode chinesische Konkurrenten. Die Übernahme von China Lucky Film, des letzten lebensfähigen chinesischen Mitbewerbers, hatte die Regierung in Peking verboten. Durch die billige Inlandsproduktion spart sich Kodak nicht nur Produktionskosten, sondern auch 40% Einfuhrzoll. Mit der japanischen Fuji zusammen verfügt Kodak bereits über 90% des Markts. Die chinesischen Versuche, eine nationale Industrie aufzubauen, sind praktisch gescheitert.

Die vom MAI geforderte Beseitigung aller Kapitalverkehrskontrollen erscheint angesichts der jüngsten Erfahrungen in Ostasien als besonders problematisch: Eine der Ursachen der dramatischen Finanzkrise war eine Fehlallokation von Kapital durch den freien Markt, wie eine Studie der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung betont. Auch Joseph Stieglitz, Chefökonom der Weltbank, argumentiert neuerdings für derartige Kontrollen. Immerhin: die Krise hat westlichen Unternehmen die Chance verschafft, sich zu Spottpreisen in den Markt einzukaufen.

Da 477 der 500 größten Multis in den OECD-Ländern beheimatet sind, nimmt der Einsatz der reichen Länder für ein MAI nicht Wunder. Als die EU im März 1995 Pläne für ein “Multilateral Investment Agreement” (MIA) in der Welthandelsorganisation WTO präsentierte, stellten sich jedoch vor allem asiatische Entwicklungsländer quer. Die Materie wurde daraufhin umgetauft und in der OECD “zwischengeparkt”, um das fertige, “mit hohen Liberalisierungsstandards” versehene Produkt dann Nicht-OECD-Ländern zur Unterzeichnung anzubieten. Wie diese dazu motiviert werden können, bleibt offen. Wichtige Entwicklungsländer wie Südafrika haben der OECD bereits mitgeteilt, daß sie keinesfalls bereit wären, einem MAI in der vorliegenden Fassung beizutreten. Ob die OECD-Länder ihr Projekt trotzdem durchziehen oder sich auf langwierige WTO-Verhandlungen einlassen werden, ist nicht abzusehen.

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