Millenniumsziele – Finanzierung: Neue Steuerideen sind keine Goldgrube

Ob die Millenniums-Entwicklungsziele tatsächlich erreicht werden können, hängt von allem Möglichen ab, von neuen internationalen Steuern aber kaum.

Auf hehre Ziele konnte sich die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten meist relativ problemlos einigen, insbesondere auf Ebene der Vereinten Nationen. Wer wieviel springen lassen soll, damit diese Ziele auch erreicht werden, war dagegen stets eine schwierige Frage. Noch schwieriger wird’s, wenn nicht einmal klar ist, was der Spaß überhaupt kostet. Das ist etwa bei den acht so genannten Millenniums-Entwicklungszielen der Fall, die bis 2015 erreicht werden sollen.

Immerhin gibt es seit der Veröffentlichung des Berichts des UN Millennium Project im Jänner 2005 einen Anhaltspunkt. Mit viel Aufwand versuchte darin ein Team unter Leitung des Harvard-Ökonomen Jeffrey Sachs insbesondere auszurechnen, welche zusätzlichen Finanzmittel (über die aktuelle Entwicklungshilfe hinaus) die reichen Länder den ärmeren bis 2015 zukommen lassen müssten: Im Vergleich zum Niveau dieser Hilfe im Jahr 2002 ergab sich für 2006 ein Betrag von 70 Mrd. US-Dollar, der bis 2015 auf 130 Mrd. US-Dollar anwachsen müsste (jeweils in Dollar von 2003).

Wie nicht anders zu erwarten beruhen diese Zahlen auf zahlreichen Annahmen, die zutreffen können oder auch nicht – insbesondere etwa der Annahme, dass sich die Pro-Kopf-Wachstumsraten in Entwicklungsländern in den kommenden Jahren wesentlich beschleunigen würden. Denn darauf beruht die unterstellte hohe Eigenfinanzierungkraft im Süden. Man könnte auch von einem finanziellen Kartenhaus sprechen.

Wie dieser “Zuschussbedarf” kalkuliert wurde, habe ich kurz in meinem Artikel Der Preis der Vision zu schildern versucht, ursprünglich erschienen im Südwind-Magazin als Teil der Sonderausgabe zu den Millenniumszielen (Editorial) von April 2005.

Darin habe ich auch gewagt, eine merkwürdige (weltweite?) Informationslücke zu schließen: Denn was die Umsetzung der Millenniumsziele insgesamt kosten würde, ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Das Ergebnis: etwa 3.400 Mrd. US-Dollar (ohne Schuldenaufnahme der reichen Länder) oder 4.100 Mrd. US-Dollar (mit Schuldenaufnahme der reichen Länder, also inkl. Zinskosten). Den Großteil würden die Entwicklungsländer selbst bezahlen müssen – und zwar aus den laufenden Einnahmen, denn bei Schuldenfinanzierung würden sich die Kosten für den Süden locker verdoppeln. Und wohlgemerkt: Es handelt sich bei diesen Beträgen um die Summe der gegenüber den bisherigen Ausgaben zusätzlich aufzubringenden Mittel.

Wie auch immer: EntscheidungsträgerInnen sind stets für “konkrete” Zahlen dankbar, was sie mit den Medien ebenso gemeinsam haben wie mit den Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Im konkreten Fall konzentriert sich das öffentliche Interesse allerdings nur auf den geschätzten jährlichen Zuschussbedarf des Nordens, quasi die Spitze des Eisbergs der Gesamtkosten; diese sowie das zugrundeliegende Annahmengerüst werden weitgehend ausgeblendet.

Ein Grund dürfte sein, dass diese “Zuschussbeträge” zwar erheblich, aber doch nicht unfinanzierbar erscheinen. Erst diese selektive Aufmerksamkeit schafft die Bühne, auf der die Debatten über die Art der Finanzierung dieses Zusatzbedarfs inszeniert werden können. Und erst die Ausblendung der Gesamtkosten verschafft einigen Finanzierungsideen die nötige Attraktivität – insbesondere der Möglichkeit, die Mittel durch neue internationale Steuern aufzutreiben, darunter eine Steuer auf Devisentransaktionen (“Tobinsteuer”), für deren Einführung sich insbesondere das globalisierungskritische Netzwerk attac seit Jahren einsetzt – bislang ohne durchschlagenden Erfolg.

Was ist von solchen internationalen Steuern zu erwarten? Eher wenig. Argumente für diese nüchterne Einschätzung habe ich im Artikel Die Melkkühe des Tantalus (Mai 2005) zusammengefasst.

Etwa wird mit Bruttoerträgen gerechnet anstatt Steuerausfälle einzukalkulieren – eine “Terra Tax” auf internationale Handelsgeschäfte könnte per Senkung des Wirtschaftswachstums durchaus weit mehr Steuerausfälle bewirken als sie an Mitteln überhaupt einbringt; eine Waffenexportsteuer wäre höchstwahrscheinlich ein Nullsummenspiel, und eine “Tobinsteuer” könnte außerdem mit unerwünschten Verteilungseffekten einhergehen, wenn sie einfach auf den produktiven Sektor überwälzt wird.

Im Endeffekt kann niemand sagen, ob der öffentliche Sektor, weltweit gesehen, nach Einführung solcher Steuern tatsächlich mehr Mittel zur Verfügung haben würde als vorher – was aber im Kontext der Millenniumsziele ja der eigentliche Zweck der Übung wäre. Und schließlich, was oft unter den Tisch zu fallen scheint: Mehr Mittel durch mehr Steuern kann es stets nur geben, wenn die Kühe, die gemolken werden sollen, nicht geschlachtet werden und sich vermehren.

Das tun sie derzeit, und sie geben auch mehr “Milch”: 2005 wuchs das Weltwirtschaftsprodukt nach IWF-Schätzungen um ca. 1.700 Mrd. US-Dollar. Selbst bei einer Staatsquote von nur 30% ergibt sich eine weltweite Zunahme der für öffentliche Leistungen (inkl. gesetzliche Sozialversicherung) verfügbaren Mittel um 510 Mrd. Dollar.

Insofern hat die Debatte um die Einführung internationaler Steuern eher symbolischen Charakter. Um aus den Melkkühen des Tantalus zu zitieren:

“Nichts spricht dagegen, sich für die Einführung solcher Steuern einzusetzen. Zu bedenken wäre aber, dass es sich bei einigen dieser Steuerideen letztlich um Substitute viel weitreichenderer steuer-, budget- und handelspolitischer Konzepte handelt. Die Tobinsteuer ist ganz offensichtlich ein schwacher Abklatsch einer weltweit höheren Kapitalertragssteuer, die Terra Tax eine – durch ihren Pauschalcharakter noch dazu pervertierte – Miniversion von Sozial- und Umweltausgleichszöllen im Welthandel und die Waffenexportsteuer ein Versuch, wenigstens auf Umwegen die Aufrüstung ein wenig einzudämmen. Anders gesagt: Man haut den Sack und meint den Esel.”

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