irreführende ökonomische indikatoren und alternativen

Wirtschaftliches Wachstum, in monetären Einheiten gemessen, ist kein zuverlässiger Indikator für tatsächlichen Fortschritt oder Wohlstand.

Eine Einführung zu diesem Problem und zu den Versuchen, bessere Indikatoren zu entwickeln, bietet der Artikel Jenseits des BIP, den ich im September 2002 für das Südwind Magazin geschrieben habe. Herkömmliche Indikatoren sind übrigens nicht nur blind gegenüber nicht geldvermittelten Transaktionen, sondern werden m.E. nicht einmal dem eigenen Anspruch gerecht, nämlich messbare Entwicklungen der Geldökonomie korrekt wiederzugeben.

Beispiele sind etwa die “Produktivität” und der “Verbraucherpreisindex” (VPI).

Letzterer lässt sich etwa durch hedonistische Bewertung (z.B. ein um 20% teurerer PC mit 50% höherer Leistung ist nicht teurer, sondern billiger geworden) senken; da der VPI zur Korrektur des nominellen Wirtschaftswachstums verwendet wird, ist das reale Wachstum umso höher, je niedriger der VPI. Analog steigt damit natürlich auch die gemessene Arbeitsproduktivität! Diese steigt übrigens auch durch die Auslagerung industrieller Fertigungsprozesse mit geringer Wertschöpfung in Länder mit niedrigeren Lohnkosten, sofern die Prozesse mit hoher Wertschöpfung wie Werbung und Marketing im Inland verbleiben.

Dass EU-Wirtschaftsfachleute eine Krise ausrufen, weil die EU mit der so bewirkten, zum Teil hochmanipulierten Steigerung der Arbeitsproduktivität in den USA nicht Schritt hält, finde ich regelrecht amüsant. Dazu möchte ich mich noch in Zukunft äußern.

Zurück zur Problematik des Wirtschaftswachstums. Der bekannteste Versuch auf offizieller Ebene, sozialen Fortschritt anhand von Sozialindikatoren zu messen, ist der Human Development Index (HDI), erstellt vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) für ihren jährlichen Bericht über die menschliche Entwicklung (Human Development Report). Eine Übersicht zum HDI gibt es hier.

Der HDI versteht sich als “Zusatz” zu den üblichen ökonomischen Indikatoren. Mir sind zwei Projekte bekannt, überhaupt eine mögliche Alternative zu entwickeln; eines von der britischen New Economics Foundation, der so genannte “Index of Sustainable Economic Welfare” (ISEW), das andere von Redefining Progress, einer US-Non-Profit-Organisation, der so genannte “Genuine Progress Index” (mittlerweile bekannt als Genuine progress indicator, GPI). Leider werden diese Indikatoren seit Längerem nur mehr sporadisch oder überhapt nicht mehr berechnet – wahrscheinlich wegen mangelnder Ressourcen.

Eine anderes interessantes Konzept in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung von procreative assets (“prokreativen Vermögenswerten”) und degenerate assets (“degenerierten Vermögenswerten”) des australischen Ökonomen Shann Turnbull. Kurz gesagt sind Vermögenswerte “prokreativ”, wenn sie Mehrwert erzeugen und “degeneriert”, wenn sie ökonomische Werte nur verwenden/absorbieren. (Zu bedenken ist m.E. aber: Ob ein Vermögenswert “prokreativ” ist, weiß man im Kapitalismus oft erst im Nachhinein.) Mit diesem Konzept könnte zumindest die heutige Absurdität beseitigt werden, die Rüstungsproduktion als Steigerung unseres ökonomischen “Reichtums” zu behandeln.

Eine Einführung in dieses Konzept bietet sein Text “Wealth from Production” (englisch, pdf). Wer sich näher damit befassen will, kann auch sein Buch zum Thema online lesen: “New Strategies for Structuring Society from a Cashflow Paradigm” (rund 215 kB). Ich verdanke ihm eine grundlegende Einsicht für meinen Text über den Trugschluss über den Zusammenhang zwischen ersparnissen und investitionen.