China: Neue Papiermacht

[Juli 2007]

Unter tatkräftiger Beteiligung ausländischer Unternehmen hat die Papierindustrie Chinas Weltklasse erreicht. Ihre nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen ist jedoch ein noch ungelöstes Problem.

Von einer “papierlosen Gesellschaft” ist zwar oft die Rede, ihre Spuren sind aber schwer zu entdecken – etwa in Form einer stagnierenden Nachfrage in Nordamerika und Westeuropa. Weltweit wächst der Konsum jedoch weiter. Besonders in China, wo Papier vor etwa 2000 Jahren erfunden wurde, nimmt der Verbrauch seit den 1980er Jahren um rund 10% pro Jahr zu (siehe Grafik). China ist bereits zweitgrößter Papierverbraucher der Welt und könnte die USA bis 2015 überholen. 2006 lag die Nachfrage bei mehr als 64 Mio. Tonnen, knapp ein Fünftel des Weltkonsums. Dabei lag der Pro-Kopf-Verbrauch im Vorjahr mit 50 kg sogar noch unter dem weltweiten Schnitt (2005: 56 kg), von den USA (310 kg), Japan (247 kg) oder Deutschland (236 kg) ganz zu schweigen – ein Indiz für das große Wachstumspotenzial.

Kein Wunder, dass fast alle Riesen der Branche in China präsent sind: etwa Asia Pulp & Paper (Indonesien), SAPPI (Südafrika), International Paper (USA), Oji Paper (Japan) oder die beiden finnischen Konzerne UPM Kymmene und Stora Enso, die Nr.1 der Welt mit einer Produktionskapazität von 16,5 Mio. Tonnen und einem Umsatz von 14,6 Mrd. Euro (2006). Die Produktion vor Ort war die beste Chance, sich einen Teil vom Kuchen zu sichern – der Marktanteil ausländischer Unternehmen lag 2004 bei 29%. Gleichzeitig sorgten Maschinenbauer wie die finnische Metso, die deutsche Voith, aber auch die österreichische Andritz AG dafür, dass heute einige der größten und modernsten Zellstofffabriken und Papiermaschinen der Welt in China stehen.



Tissuemaschine der Andritz AG in Changde/Hunan

In der Sparte Verpackungskarton (inkludiert u.a. Wellpappe), die wegen der Konsumgüterexporte Chinas noch rascher wächst als die Gesamtproduktion, hat China sogar einen potenziellen Weltmarktführer: Die 1995 gegründete Nine Dragons Paper ist mit einer Jahreskapazität von derzeit 4,5 Mio. Tonnen schon heute die Nr. 3 der Welt in ihrem Segment. Das von Cheung Yan geleitete Unternehmen, der vielleicht reichsten Frau Chinas, die zu Beginn ihrer Karriere ihre Familie als Textilarbeiterin durchbrachte, will die Kapazität bis 2008 auf 7,7 Mio. Tonnen und 2009 auf mehr als 10 Mio. Tonnen erweitern.



In einigen Papierkategorien hat die inländische Produktionskapazität bereits den Eigenbedarf überschritten. Zwar importierte China im Vorjahr noch rund 4,5 Mio. Tonnen, exportierte aber gleichzeitig rund 3 Mio. Tonnen, und im ersten Quartal 2007 stiegen die Exporte im Jahresvergleich um mehr als 60%. Fast drei Viertel der Exporte stammten übrigens von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung. Erste Konflikte gibt es nun bei gestrichenem holzfreien Papier, das derzeit am stärksten wachsende Marktsegment mit einem weltweiten Volumen von rund 26 Mio. Tonnen. In dieser Sparte verzehnfachten sich die Exporte chinesischer Firmen in die USA zwischen 2004 und 2006 von 21,5 Mio. auf 224 Mio. US-Dollar; schon 2005 hatte das bilaterale US-Defizit im Papierhandel insgesamt eine Mrd. Dollar erreicht.

Offenbar hat Washington nun beschlossen, im Papiersektor ein Exempel zu statuieren und damit gleichzeitig den US-Kongress zu besänftigen, wo schon seit längerem härtere Maßnahmen gegen das wachsende Handelsbilanzdefizit mit China gefordert werden. Auf Antrag des Papierherstellers New Page Corporation in Dayton, Ohio im Vorjahr begann das Department of Commerce, das Ausmaß der chinesischen Regierungssubventionen an die Papierbranche, etwa über Billigkredite und Steuerbefreiungen, sowie allfälliges Dumping zu untersuchen. Ende März wurden vorläufige Ausgleichszölle bis zu 20,35% festgesetzt, was bereits zu wütenden Reaktionen betroffener Firmen führte, in Beijing offiziell aber lediglich als “zutiefst unbefriedigend” bezeichnet wurde.

Ende Mai wurden zusätzlich Anti-Dumping-Zölle von bis zu 48% für einige Unternehmen, darunter Partnerfirmen von Stora Enso und Asia Pulp&Paper, aber von 99,65% für alle übrigen festgelegt, was einer Importsperre gleichkommt. Da aber jeweils nur geringe Anteile der Produktion der Unternehmen betroffen sind, sofern sie überhaupt exportieren, scheint die relativ gelassene Haltung in Beijing nachvollziehbar. Existenzbedrohend sind die US-Manöver nicht, sofern das Beispiel nicht Schule macht.

Es sind auch weniger die Exporte aus China, die im Rest der Welt als bedrohlich wahrgenommen werden, als vielmehr die rasch wachsenden Importe. Grund dafür ist die fehlende inländische Rohstoffbasis, die in den letzten Jahren sogar noch schmäler wurde: Einerseits wurden aus Umweltschutzgründen tausende alte Papiermühlen geschlossen, die u.a. Reisstroh verarbeiteten, andererseits erfolgte nach den Flutkatastrophen am Jangtsekiang 1998 eine Kehrtwendung hin zum Schutz der eigenen Wälder und zur Wiederaufforstung. China ist daher zum weltgrößten Importeur von Altpapier aufgestiegen, vor allem aus den USA, zunehmend aber auch aus der EU, und seit 2004 hat China den USA auch den Rang als wichtigster Importeur von Zellstoff abgelaufen. Sowohl die Importe von Zellstoff (knapp 8 Mio. t) als auch von Altpapier (19,6 Mio. t) erreichten 2006 neue Rekordwerte. Größte einzelne Lieferanten sind die indonesische APRIL und die brasilianische Aracruz.

Dazu kommen noch die Holzeinfuhren, die sich zwischen 1997 und 2005 auf rund 45 Mio. Kubikmeter Rundholzäquivalent verdreifachten – ein Effekt des steigenden Inlandsverbrauchs und der Verlagerung der Fertigung von Holzprodukten nach China. Zwar wird vor allem Weichholz aus Russland importiert (2005 etwa die Hälfte aller Holzeinfuhren und knapp 70% des Industrie-Rundholzes), aber auch rund die Hälfte der Rundholzexporte aus Papua Neuguinea, Indonesien und Myanmar landen in China, ein beträchtlicher Anteil davon aus illegalem Einschlag. Bei der aktuellen Einschlagquote würden die tropischen Wälder Papua Neuguineas in 12-15 Jahren, in Indonesien bereits in zehn Jahren restlos verschwunden sein, schätzt Forest Trends, ein Bündnis von VertreterInnen aus der Forstwirtschaft, von Umweltorganisationen und Gebern.

Die Regierung setzt auf die Förderung großflächiger Plantagen vor allem im Südosten des Landes, darunter Eukalyptus und auch gentechnisch erzeugte Pappelarten, um den inländischen Einschlag von 150 Mio. m³ Rundholz auf 300 Mio. m³ im Jahr 2015 zu verdoppeln. Das würde ausreichen, etwa den Umfang der gesamten aktuellen Importe von Papier, Zellstoff und Holz zu ersetzen. Forest Trends bezweifelt aber, dass dieses Ziel ohne eine Erhöhung der Produktionsanreize für die ländliche Bevölkerung, Besitzer von rund 60% der Waldflächen, und eine Dezentralisierung der Verwaltung der staatlichen Forste erreicht werden kann.

Zumindest für einige gefährdete tropische Baumarten aus Südostasien wie etwa Merbau gibt es Positives zu berichten: Anfang Juni hat sich der britische Baumarktkonzern B&Q mit 60 Standorten in China öffentlich dazu bekannt, sämtliche Produkte aus illegal geschlägertem Holz aus seinen Filialen zu entfernen. Merbau-Produkte wurden bereits aus dem Sortiment genommen, weil der Ursprung des Tropenholzes nicht zweifelsfrei nachweisbar war. Es wäre jedenfalls ein großer Schritt vorwärts, wenn chinesische Unternehmen nicht nur die moderne Kapitalausstattung, sondern auch die Überwachung der Wertschöpfungskette von ihrer ausländischen Konkurrenz übernehmen würden.

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