Daten zu Covid-Fallsterblichkeit: Neue Anfrage

Das österreichische Gesundheitsministerium (BMSGPK) hat in einem Bescheid Ende Oktober 2022 meine Anfrage zu Covid-Fallsterblichkeitsdaten mit der zentralen Begründung abgelehnt, dass keine solche Daten vorhanden wären. Anfang Dezember habe ich eine neue Anfrage an das BMSGPK gestellt: Warum wurden diese Daten gelöscht/vernichtet?

Mit Updates vom 10.9.23, rot!

In meiner Anfrage (siehe fragdenstaat.at, Löschung/Vernichtung von Daten zur Covid-19-Fallsterblichkeit, Gründe) unterstelle ich, dass die Behauptung des BMSGPK zu den fehlenden Daten richtig ist. Ich führe aber neuerlich schwer vom Tisch zu wischende Beweise dafür an, dass diese und ähnliche Daten zumindest früher auf den Servern der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (Ages) existiert haben und auf der Ages-Website veröffentlicht wurden.

Diese Beweise bestehen aus Schnappschüssen der Ages-Website vom März 2021 im Internet Archive, siehe die nachstehend rechts eingefügten Screenshots der relevanten Tabellen.

Screenshot 1, erfasst am 2. März 2021

“Es ergibt sich daher zwingend”, heißt es in meiner Anfrage, dass diese Daten zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem 19. März 2021 gelöscht bzw. vernichtet wurden und dass spätestens zu diesem Zeitpunkt die Ages die Ermittlung der Covid-19-Fallsterblichkeit nach Altersgruppen und/oder nach Phasen der Epidemie eingestellt hat. Sofern es irgendwann zu einer Übermittlung dieser Daten an das BMSGPK oder die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) gekommen ist, ergebe sich außerdem ebenfalls zwingend, dass diese Daten auch vom BMSGPK und von der GÖG gelöscht bzw. vernichtet worden sein müssen.

Screenshot 2, erfasst am 19. März 2021

Die Fragen drängen sich auf: War es dem BMSGPK bekannt, dass die Ages die Ermittlung dieser Daten eingestellt und die vorhandenen Daten gelöscht bzw. vernichtet hat? Wenn ja, welche Kenntnisse hat das BMSGPK (als maßgeblicher Gesellschafter der Ages) über die Gründe dieses Vorgehens? Und wenn nein, wie beurteilt das BMSGPK diese Löschung bzw. Vernichtung von Daten durch die Ages, die auf Basis der Angaben im Bescheid von Ende Oktober 2022 und der Schnappschüsse der Ages-Website im Internet Archive offensichtlich stattgefunden haben muss? Und sofern es zu einer Übermittlung der von der AGES ermittelten Daten zur Covid-19-Fallsterblichkeit nach Altersgruppen und/oder nach Epidemiephasen an das BMSGPK gekommen ist, welche Gründe haben das BMSGPK dazu bewogen, diese gegebenenfalls übermittelten Daten nachträglich unwiederbringlich zu löschen und erforderlichenfalls physisch zu vernichten?

Was kann bei der Anfrage herauskommen?

Meine Erwartungen an das Ergebnis dieser neuen Anfrage sind nicht hoch, da sich das BMSGPK meiner Ansicht nach in einem Dilemma befindet. Jedenfalls ist nicht zu erwarten, dass das BMSGPK seine Behauptung der Nichtexistenz der gegenständlichen Daten im Bescheid von Oktober 2022 widerrufen wird. [Update 10.9.23: Das hat sich als unzutreffend erwiesen. Siehe Covid-19-Fallsterblichkeit: BMSGPK entschuldigt sich für Auskunftsverweigerung]

Sofern eingestanden wird, dass die Ermittlung der fraglichen Daten eingestellt und alle diese Daten gelöscht wurden, müsste das BMSGPK diese Schritte irgendwie begründen. Es lässt sich aber gesundheitspolitisch nur schwer rechtfertigen, dass inmitten einer grassierenden Epidemie auf die Ermittlung entscheidender Kennzahlen zur Entwicklung der Gefährlichkeit des Erregers (SARS-CoV-2) wie der Fallsterblichkeit verzichtet wurde und noch dazu alle zuvor in diesem Zusammenhang berechneten Daten gelöscht wurden. Das BMSGPK würde sich jedenfalls öffentlicher Kritik aussetzen, egal, welche Gründe dafür angegeben (oder vorgeschoben) werden.

Um das zu vermeiden, könnte das BMSGPK die Beweise in Gestalt der Schnappschüsse der Ages-Website vom März 2021 im Internet Archive einfach ignorieren bzw. deren Beweiseigenschaft bestreiten. Das würde inkludieren, dass auch der Wahrheitsgehalt der Auskunft der Ages, wonach diese berechneten Daten seit April 2021 auf eine akkreditierungspflichtige Website verschoben wurden (jira.ages.at/secure/Dashboard.jspa; siehe Covid-19: Fallsterblichkeit offenbar deutlich gesunken), bestritten wird. Damit würde das BMSGPK die Ages, deren maßgeblicher Gesellschafter das BMSGPK ist, der Verbreitung von Falschinformationen bezichtigen. Auch diese Option scheint aus Sicht des Ministeriums alles andere als ideal zu sein.

Bleibt die m. E. wahrscheinlichste Option übrig, nämlich die Beantwortung meiner Anfrage überhaupt abzulehnen. Das BMSGPK könnte etwa behaupten, dass es sich bei der Löschung/Vernichtung von Daten zur Covid-Fallsterblichkeit um Vorgänge handle, zu denen das BMSGPK gemäß Auskunftspflichtsgesetz keine Auskunft zu erteilen hätte. Auch in diesem Fall würde sich das BMSGPK nicht gerade mit Ruhm in Sachen Transparenz und Informationsfreiheit bekleckern.

In allen Fällen wäre es jedenfalls geboten, die Beantwortung bzw. Ablehnung der Beantwortung nicht zu akzeptieren und das Verfahren gemäß Auskunftspflichtgesetz weiterzuführen: Das inkludiert das Verlangen auf Ausstellung eines Bescheids und eine Beschwerde gegen diesen Bescheid.

Was ist tatsächlich passiert und warum?

Diese Fragen sind letztlich nicht beantwortbar; man kann nur Spekulationen anstellen. Basis der folgenden Überlegungen ist meine Annahme, dass
1. die Auskunft der Ages 2021 mir gegenüber richtig war und die fraglichen Fallsterblichkeits-Daten zu Covid-19 tatsächlich zumindest in einem längeren Zeitraum danach weiter berechnet, aber bloß seit April 2021 nicht mehr veröffentlicht wurden und
2. dass diese Daten tatsächlich auch nie gelöscht oder vernichtet wurden.
Die Gründe für die Einstellung der Veröffentlichung dieser Daten und die Behauptung des BMSGPK im Bescheid von Ende Oktober 2022, dass es solche Daten gar nicht (mehr) gäbe, müssten demnach weitgehend dieselben sein. [Update 10.9.23: Meine beiden Annahmen waren korrekt, die Schlussfolgerung wohl eher nicht. Siehe Covid-19-Fallsterblichkeit: BMSGPK entschuldigt sich für Auskunftsverweigerung]

CFR-Daten als Gefahr für die Impfkampagne
Meine Vermutung im April 2021 war, dass die Covid-19-Fallsterblichkeit (Case fatality rate, CFR) damals einen deutlichen Trend nach unten zeigte und diese Entwicklung nicht zum offiziellen Narrativ von der Gefährlichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 passte, zumal die Impfkampagne gerade erst ins Rollen gekommen war. Die damalige Dominanz der Alpha-Variante in Österreich hielt laut Daten auf ourworldindata.org übrigens noch bis Anfang Juni 2021 an (65 %).

Eine Betrachtung der nachfolgenden Entwicklungen zeigt zudem, dass die CFR-Daten nicht dazu geeignet waren, eine wesentliche positive Wirkung der Impfkampagnen zu belegen – phasenweise schien das Gegenteil der Fall zu sein. Eine weitere Veröffentlichung der Ages-Daten zur Fallsterblichkeit in Österreich bzw. die Wiederaufnahme ihrer Veröffentlichung hätte also das Potenzial gehabt, die Sinnhaftigkeit und Effektivität der offiziellen Impfkampagne in Frage zu stellen. Man kann also mit einiger Plausibilität unterstellen, dass die Veröffentlichung dieser CFR-Daten eingestellt bzw. nicht wiederaufgenommen wurde, um eine Gefährdung der offiziellen Botschaft vom Segen der Covid-Impfungen durch Daten, die ihr zu widersprechen scheinen oder ihr tatsächlich widersprechen, zu verhindern. [Update 10.9.23: Die Vermutung im obigen Absatz stützt sich auf den in der Grafik unten sichtbaren Anstieg der CFR im Frühsommer 2021 auf knapp 3 %. Dieser Anstieg erfolgte jedoch erst im Juni 2021 und kann kein Grund für die Entscheidung Anfang April gewesen sein.]

Dies lässt sich anhand von Daten auf ourworldindata.org zur Fallsterblichkeit und zum Fortschritt der Impfkampagnen veranschaulichen, die im Wesentlichen von der Johns Hopkins University stammen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Daten zur Fallsterblichkeit lediglich auf einer groben Berechnung beruhen: Die CFR wird als Verhältnis des 7-Tage-Schnitts der Sterbefälle und des 7-Tage-Schnitts der Infektionsfälle 10 Tage davor errechnet. Wie dabei seriös vorzugehen wäre, hat die Ages bei ihren bis März 2021 veröffentlichten CFR-Daten regelmäßig erläutert: “Für eine zuverlässige Berechnung der Fall-Sterblichkeit (inkludiert alle Infektionsfälle, unabhängig vom Erkrankungsstatus) hat mindestens eine Beobachtungszeit von 3 Wochen für jeden Infektionsfall nach Labordiagnose zu bestehen.”

Wie man den beiden Grafiken unten entnehmen kann, erfolgte der deutliche Rückgang der Covid-19-Fallsterblichkeit in Österreich im Frühjahr 2021 in einem Zeitraum, in dem erst wenige Prozent der Bevölkerung “vollimmunisiert” waren, wie es damals hieß. Hätte es sich dabei um einen Erfolg der Impfkampagne gehandelt, wäre ein weiterer Rückgang der Fallsterblichkeit mit Fortschritt der Impfkampagne zu erwarten gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall: Mit dem Anstieg der “Vollimmunisierungsquote” auf 40 % Anfang Juli stieg die CFR wieder auf knapp 3 %, praktisch eine Verdreifachung, um danach bis Ende August 2021 auf nur mehr 0,24 % abzustürzen. Bei Letzterem handelte es sich auf den ersten Blick wahrscheinlich um einen saisonalen Effekt wie bei allen anderen Erkältungkrankheiten auch; eine gewisse Rolle könnte auch gespielt haben, dass sich mit Ende Juni 2021 laut Daten auf ourworldindata.org in Österreich bereits die Delta-Variante durchgesetzt hatte. Die Erhöhung der “Vollimmunisierungsquote” auf knapp 60 % im selben Zeitraum scheidet m. E. als Erklärung weitgehend aus. [Update 10.9.23: Die Argumentation im obigen Absatz ist anfangs korrekt – die Fallsterblichkeit sank scheinbar “von alleine” und stagnierte in der Folge, ohne dass irgendein Impfeffekt zu erkennen gewesen wäre. Der erwähnte Anstieg bis Anfang Juli war jedoch lediglich ein statistisches Artefakt auf Basis sehr geringer absoluter Fallzahlen.]

Schön zu sehen ist auch der “endgültige” Absturz der CFR mit der Durchsetzung der Omikron-Varianten (praktisch 100 %) ab Mitte/Ende Dezember 2021. Es waren die Omikron-Varianten, die die Epidemie tatsächlich beendeten, indem sie die Gefährlichkeit einer Infektion für die Bevölkerung insgesamt drastisch verringerten. Schon im März 2022 war in Großbritannien eine Verringerung der Sterblichkeit unter das Niveau einer saisonalen Grippe beobachtet worden, siehe Covid is now LESS deadly than the flu (Daily Mail, 10. März 2022).

Covid-19-Fallsterblichkeit in Österreich

Quelle: ourworldindata.org/coronavirus, Bearbeitung R. Poth

Quote “Vollimmunisierung” in Österreich

Quelle: ourworldindata.org/coronavirus, Bearbeitung R. Poth

Meine Hypothese, zusammenfassend, ist also: Der Stopp der Veröffentlichung der aufbereiteten Daten zur Fallsterblichkeit nach Altersgruppen und insbesondere nach Epidemiephasen hatte den Zweck, den scheinbar oder tatsächlich fehlenden positiven Einfluss der Impfkampagne auf die Covid-19-Fallsterblichkeit zu verbergen. [Update 10.9.23: Aus heutiger Sicht halte ich zweierlei für wahrscheinlicher: 1. Mit dem Rückgang der CFR eigneten sich die Daten nicht mehr zur Unterstützung der Impfkampagne 2. Zukünftige Anstiege der CFR waren nicht auszuschließen, was zu Irritationen der Öffentlichkeit führen könnte. Daher wurde die Veröffentlichung der Daten quasi “prophylaktisch” eingestellt.] Dass nun sogar behauptet wird, dass diese Berechnungen nicht (oder jedenfalls nicht mehr) existieren, könnte einen Versuch darstellen, die verantwortlichen österreichischen Gesundheitsbehörden nachträglich vor Kritik in Zusammenhang mit einer fehlenden “Evidenz-Basiertheit” der offiziellen Impfkampagne zu schützen. Dabei nimmt man allerdings auch den möglichen Vorwurf in Kauf, sich bewusst auf eine Art Blindflug begeben zu haben, indem man die Ermittlung zentraler Kennzahlen wie der CFR mitten in der Epidemie eingestellt hat. [Update 10.9.23: Diese Mutmaßungen haben sich mit der Bereitstellung der CFR-Daten als unzutreffend erwiesen. Siehe Siehe Covid-19-Fallsterblichkeit: BMSGPK entschuldigt sich für Auskunftsverweigerung]

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