Österreich 2016: Seltsamer Aufschwung

Der „Aufschwung“ der österreichischen Wirtschaft von 2016 war von einem Rückgang der Arbeitsproduktivität begleitet, wie im Dezember 2017 veröffentlichte Daten von Statistik Austria zeigen – ein ungewöhnliches Phänomen für eine wachsende Volkswirtschaft.

Die Arbeitsproduktivität sank 2016 gegenüber 2015 um 0,44%, während die Wirtschaft gleichzeitig real um 1,5% wuchs. Anders gesagt: In Österreich wurden zwar um 1,86% mehr Arbeitsstunden geleistet als 2015, doch pro Stunde wurde damit weniger Wert erzeugt als im Jahr davor.
[Die Daten für 2015 und 2016 wurden per September 2018 revidiert. Siehe Arbeitsproduktivität in Österreich: Ein Update]

Noch im April 2017 hatte Statistik Austria für 2016 eine Zunahme der Arbeitsproduktivität um 0,6% ausgewiesen. Der erhebliche Unterschied von mehr als einem Prozent geht v.a. auf eine Neuberechnung des Arbeitsvolumens zurück.

Ein Rückgang der Arbeitsproduktivität hatten schon die Mikrozensus-Daten zum Arbeitsvolumen von 2016 vermuten lassen. Nun hat sich offenbar gezeigt, dass diese Daten die Entwicklung besser abgebildet haben als die Berechnungsmodelle von Statistik Austria.

Dass die Arbeitsproduktivität noch 2015 um fast 2% zugenommen hat, lässt die Entwicklung von 2016 umso rätselhafter erscheinen: Was ist das für ein Aufschwung?, fragte ich mich schon im Frühjahr 2017. (Siehe rpoth.at/blog/oesterreich-negative-wirtschaftsdaten-weitgehend-ignoriert.)

Theoretisch sollten sich Arbeitsproduktivität und Wirtschaftswachstum gleichläufig entwickeln, auf Basis einer simplen Hypothese: Im Abschwung werden Personalstand und Arbeitszeiten erst mit Verzögerung in Reaktion auf die sinkende Nachfrage reduziert, d.h. die Wertschöpfung pro geleisteter Arbeitsstunde sinkt tendenziell; das war etwa auch beim Abschwung 2008-2009 der Fall, wie der Abwärtsknick der roten Kurve in der Grafik oben zeigt. Im Aufschwung wiederum wird bei steigender Nachfrage zuerst das vorhandene Personal besser ausgelastet, womit die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde steigt, und erst später wird der Personalstand erhöht.

Was war also 2016 los? Den Daten von Statistik Austria lässt sich lediglich entnehmen, dass die ca. 130 Millionen zusätzlichen Arbeitsstunden (gegenüber 2015) großteils im tertiären Sektor geleistet wurden. Im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft) ist ein Rückgang von 3 Mio. Arbeitsstunden ausgewiesen, im sekundären Sektor (Bergbau, Industrie/Gewerbe, Versorgungsbetriebe, Bau) ein Plus von ca. 12,5 Mio. Stunden. Zur Aufteilung der zusätzlichen Arbeitsstunden innerhalb des tertiären Sektors gibt es keine Angaben.

Es kann sich natürlich sowohl um einen „Ausreißer“ als auch um ein statistisches Artefakt handeln. Im ersteren Fall sollte sich bei anhaltendem Konjunkturaufschwung (und das war 2017 offenbar der Fall) die Arbeitsproduktivität wieder positiv entwickeln, was sich erst 2018 zeigen wird.

Persönlich neige ich zu einer pessimistischeren Annahme. Fast in allen entwickelten Wirtschaften (in den „reichen Ländern“) gehen die Steigerungsraten bei Arbeits- als auch Gesamtfaktorproduktivität seit Längerem stetig zurück. Dieser Trend ist jedenfalls bei der Arbeitsproduktivität auch in Österreich zu beobachten – die folgende Grafik ist ein Update einer identischen Grafik vom April.

Dieser Trend ist m.E. auf mehrere Faktoren zurückzuführen, darunter die Auslagerung der industriellen Produktion in Schwellenländer, den technologischen Fortschritt (Digitalisierung) sowie die zunehmend ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung. Alle diese Faktoren stehen miteinander in Wechselwirkung.

Endergebnis ist ein Phänomen, das schon vor Jahren als „Dienstbotisierung“ der Wirtschaft kritisiert wurde: Die wirtschaftliche Expansion im tertiären Sektor beschränkt sich im Wesentlichen auf Branchen mit relativ (zur Industrie) geringer Wertschöpfung, etwa persönliche Dienstleistungen für den wohlhabenderen Teil der Gesellschaft (dazu würde ich auch den Transportdienstleister Uber zählen) oder Leistungen im Gesundheits- und Sozialbereich in Zusammenhang mit der Alterung unserer Gesellschaft (Pflegedienstleistungen). Da ist pro Arbeitsstunde nicht viel Geld zu holen, außer im oberen Einkommenssegment (das sich vielleicht auch zukünftige Pflegeroboter leisten kann), und das drückt daher die Arbeitsproduktivität insgesamt.

Eine gewagtere These in diesem Zusammenhang wäre, dass auch die Softwarebranche zunehmend unproduktiv wird, da sie zwar gut bezahlte Dienstleistungen erbringt, dieselben jedoch immer weniger der Entwicklung neuer Produkte dienen, sondern vermehrt bloß für den Schutz der expandierenden Datennetzwerke gegen interne und externe Risiken wie Hackerangriffe erforderlich sind. Anders gesagt, die „Wertschöpfung“ der Branche müsste zunehmend als Teil des gesamtgesellschaftlichen Overheads (Gemeinkosten) betrachtet werden, der nichts zur Gesamtproduktivität beiträgt, sondern sie sogar verringert – bisher unnötige Kosten, die nun zusätzlich zu tragen sind.

Abschließend noch ein Beispiel für die Infografik-Expertise von Statistik Austria – die Darstellung der Entwickung der Arbeitsproduktivität unter “Wie geht’s Österreich?”.

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