rätsel geldschöpfung

Die falsche Ansicht über den Zusammenhang von Ersparnissen und Investitionen hängt mit einem grundlegenderen Trugschluss zusammen: der Annahme, dass die zum Zeitpunkt X für Investitionen verfügbare Menge an Geld der Menge an Geld entspricht, die zum Zeitpunkt X bereits verdient wurde, sodass nur jener Teil des Geldes, der nicht für den Konsum ausgegeben wird, investiert werden kann. Wäre diese angenommene Schranke nicht schon vor langer Zeit überwunden worden, würde der Kapitalismus noch immer in den Kinderschuhen stecken.

Zum Text

Ich habe lange gebraucht, bis ich mich mit der Frage der Geldschöpfung befasst habe. Ich verdanke die hier präsentierten Einsichten großteils Ernst Dorfner.
Mehr zu seiner Arbeit zum Thema Geld und zu Wirtschaftsthemen gibt es auf seinem Weblog sowie auf den new money Seiten.

Tatsache ist, dass das zusätzliche Geld für Investitionen einfach geschaffen werden kann, und zwar u.a. in Form von Bankkrediten. Man könnte sagen, dass Investitionen derart nicht durch bereits vorhandene, sondern durch zukünftige Ersparnisse finanziert werden. So formuliert es etwa der australische Ökonom Shann Turnbull – grundlegende Informationen zu seinen Vorstellungen gibt es im Text irreführende ökonomische indikatoren.

Demgemäß falsch sind auch alle volkswirtschaftlichen Modelle, die von der Annahme ausgehen, dass weniger “Sparen” automatisch zu weniger verfügbarem “Geld” für Investitionen führt und aufgrund der Konkurrenz um diese geschrumpften Mittel der – als “Preis des Geldes” verstandene – Zinssatz steigen müsste. Ungeachtet dessen wird fast überall – bis “hinauf” zum IWF – von dieser Annahme ausgegangen.

Zweifellos ein Armutszeugnis. Wie auch immer: Diese Fähigkeit zur Geldschöpfung ist ein essenzielles Merkmal unseres Wirtschaftssystems. Sie ist Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, das es seinerseits möglich macht, Zinsen auf Kredite zu bezahlen und Gewinne zu erzielen, aber sie ist auch ein zweischneidiges Schwert, das immer wieder gefährliche Blasen produziert, die zu tiefen Rezessionen führen können.

geldschöpfung ermöglicht wachstum …

Wachstum bei Deflation

Nicht behandelt habe ich hier die Möglichkeit eines Wirtschaftswachstums bei fallenden Preisen (steigender Kaufkraft des Geldes) und ohne zusätzliche Geldschöpfung. Ein solches Wachstum würde bei der aktuell hohen Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt alle Schuldner – ob Haushalte, Unternehmen oder Staat – über kurz oder lang in den Konkurs treiben.

Mit dem Wachstumsproblem hat sich schon Karl Marx (1) herumgeschlagen. Ein einzelner Kapitalist kann natürlich problemlos eine bestimmte Menge Geld “investieren”, also die zur Produktion nötigen Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte bezahlen und die Produkte dann für mehr Geld verkaufen – und dabei Geld in mehr Geld verwandeln. Betrachtet man aber (in einem abgeschlossenen Wirtschaftsraum) alle Kapitalisten gemeinsam, ergibt sich ein Rätsel: Sie investieren zusammen den Betrag X und erwarten, mit dem Verkauf der Produkte den Betrag X+A zu erzielen. Aber sie haben ja zusammen nur den Betrag X ausgegeben (investiert). Woher kommt dann der Profit, also das Geld, das der Menge “A” entspricht?

Das ist das Geld, das die Kapitalisten für ihren eigenen Konsum ausgeben, meinte Marx. Woraus folgt, dass die Kapitalisten notwendigerweise für ihren eigenen Profit bezahlen – sie finanzieren ihn sozusagen vor (2). Erhellend. Aber das erklärt nur die “Reproduktion” des Kapitals, nicht aber sein Wachstum: Das “zirkulierende Kapital” würde so niemals den Betrag von X+A übersteigen können.

Es muss daher eine Quelle geben, aus der das nötige zusätzliche Geld quasi “herausströmt”. Und die gibt es auch, und zwar in der Regel eine Bank (Notenbank versus Geschäftsbank siehe Geld = Schulden).

Eine Bank nimmt bekanntlich Einlagen entgegen und vergibt Kredite. Der üblichen Vorstellung nach kann eine Bank Geld nur “weitergeben”, womit ihre Kreditvergabe durch die Menge des Geldes begrenzt wäre, die Einleger bei ihr deponiert haben. Diese Vorstellung ist aber falsch. Denn sie geht davon aus, dass das Geld, das dieser Ansicht nach auf der Bank “liegt”, das selbe Geld wäre wie das Bargeld, das sich in Umlauf befindet. Tatsächlich existiert das Geld auf einem Bankkonto nur mehr in Form von Buchhaltungseinträgen bei der Bank; es handelt sich um “Forderungen auf Geld”, denen entsprechende Verbindlichkeiten der Bank gegenüberstehen.

Bargeld vs. Giralgeld

Obwohl Bargeld und Giralgeld (und weitere, immer weniger “geldähnliche” Geldformen) grundsätzlich als äquivalent bzw. ineinander austauschbar erscheinen, sind doch zwei wesentliche Unterschiede hervorzuheben: 1. Bargeld darf heute in der Regel nur vom Staat geschaffen werden, während die weiteren Geldformen im Privatsektor entstehen; 2. Bargeld ist unverzinslich, während die übrigen Geldformen fast ausschließlich zinstragendes Kreditgeld repräsentieren.

Die Autorisierung des Privatsektors – ob Banken oder andere Institutionen – zur Schöpfung zinstragenden Geldes ist aber kein “natürliches Recht”, sondern beruht auf einer entsprechenden gesetzlichen Entscheidung bzw. Regelung. Es ginge auch anders. Siehe etwa den Text Wider die Ohnmacht der Zentralbanken zum Konzept eines “Vollgeldes”.

Dieses “Buchungsgeld” auf den Girokonten ist das so genannte “Giralgeld”; verwandelt eine Bank Einlagen in Giralgeld, wird von “passiver Giralgeldschöpfung” gesprochen; schreibt sie umgekehrt einem Kreditnehmer einen Kredit auf sein Konto gut, wird das als “aktive Giralgeldschöpfung” bezeichnet (siehe u.a. www.lexexakt.de/glossar). Eine weitere Variante aktiver Giralgeldschöpfung ist der Ankauf von Wertpapieren (z.B. Staatsanleihen) durch Banken mit entsprechenden Gutschriften auf Konten des Bankensystems. Diese aktive Giralgeldschöpfung (3) ist, könnte man sagen, im Prinzip unbegrenzt (zu Mindestreserve und Eigenkapitalquote siehe Zweischneidiges Schwert).

Der “Trick” dabei besteht letztlich bloß darin, die Kunden der Bank dazu zu bringen, die von ihr geschaffenen Buchungen, das “Giralgeld”, als Zahlungsmittel zu akzeptieren und zu verwenden.

“Vertrauen” spielt dabei die Hauptrolle. Von lateinisch “credere”, “vertrauen”, leitet sich auch unser Wort “Kredit” ab. “Vertrauen” ermöglicht es, Tauschgeschäfte über die Zeit zu erstrecken: Man besteht nicht auf unmittelbare Erfüllung, sondern glaubt einem anderen, dass er seine Verpflichtung aus dem Geschäft irgendwann in der Zukunft erfüllen wird. Ein solcher anderer hat bei uns “Kredit”. Und umgekehrt, wenn wir Geld in die Bank tragen, geben wir der Bank “Kredit”: Wir vertrauen darauf, dass unsere verbuchte Forderung (= die Verbindlichkeit der Bank), “so gut wie Geld” ist und notfalls auf Basis unseres Rechtssystems geltend gemacht werden kann. Ebenso gibt die Bank einem Kapitalisten “Kredit”, wenn sie ihm einen Betrag zur Verwendung gutschreibt, im Vertrauen, dass der Kapitalist seiner Rückzahlungsverpflichtung in Zukunft nachkommen wird.

Zurück zum Wachstumsproblem. Das “zirkulierende Kapital” kann wie gesagt nicht zunehmen, wenn die Kapitalisten immer nur X+A ausgeben können, wobei A (der Profit) den Ausgaben der Kapitalisten für ihren persönlichen Konsum entspricht. Per Kreditvergabe mittels aktiver Giralgeldschöpfung kann jedoch das Bankensystem dafür sorgen, dass die Geldmenge (z.B. Bargeld + bereits geschaffenes Giralgeld) zunimmt. Den Kapitalisten wird derart zum Zeitpunkt Y das Geld vorgestreckt, dass später, erst zum Zeitpunkt Y+1 durch den Verkauf der Produktion zu ihnen zurückfließen wird. Was die Kapitalisten zum Zeitpunkt Y für Produktion und Konsum ausgeben, ermöglicht den Gewinn zum Zeitpunkt Y+1; was sie zum Zeitpunkt Y+1 mittels Bankkredit darüber hinaus ausgeben werden, ermöglicht wiederum den Gewinn zum Zeitpunkt Y+2 usw. usf.

Eines muss unterstrichen werden: Es wäre ein gewaltiges Missverständnis, etwa die gesamten innerhalb einer Periode vergebenen Kredite als “Geldschöpfung aus dem Nichts” zu verstehen. Natürlich werden die verschiedenen Geldformen ständig ineinander transformiert (Bargeld in Giralgeld, Kreditforderungen, Anleihen und zurück etc.) und insofern laufend “vernichtet” und “neu geschaffen”. Dieser ständige Transformationsprozess umfasst letztlich alles, dem überhaupt ein “Geldwert” beigemessen werden kann, also auch Aktien, Immobilien, Kapital in Form von Produktionsmitteln und selbst ganze Unternehmen.

Wesentlich ist aber nur, was unter dem Strich herauskommt. Im (theoretischen) Idealfall entspricht die Schöpfung zusätzlichen “Geldes” exakt dem (erwarteten) zusätzlichen Geldwert neuer Produkte bzw. Leistungen, also dem “Wachstum” der Geldwirtschaft (einmal abgesehen vom Problem der “Geldentwertung”, gemessen an seiner Kaufkraft). In der Praxis passiert das nie – meist folgt einer übermäßigen Kreditschöpfung eine Korrektur, die die Form einer Rezession/Depression annehmen kann.

Das Prinzip kann anhand eines vereinfachten Beispiels, der Kreditvergabe an eine Privatperson für den Erwerb einer neu errichteten Eigentumswohnung, veranschaulicht werden.

Ein Bauträger könnte diese Eigentumswohnung durchaus mit vorhandenen, bereits in die Geldökonomie integrierten (d.h., in Geld bewerteten) Produkten errichten und die Investitionskosten inkl. Arbeitsleistungen mit vorhandenen “Ersparnissen” (z.B. Bankeinlagen) bezahlen. Erfolgreich im Sinne eines Wachstums der Wirtschaft wird diese Leistung aber erst unter der Voraussetzung, dass die neu errichtete Wohnung mit Gewinn verkauft werden kann, also wenn der Marktwert der Wohnung über den für ihre Errichtung notwendigen Kosten liegt.

Gewährt nun eine Bank einer Privatperson einen Hypothekarkredit zum Erwerb dieser Wohnung in Höhe des aktuellen Marktwerts, ohne Eigenmittel zu verlangen (der Einfachheit halber angenommen; zuletzt in den USA durchaus üblich), erstreckt sich die “Geldschöpfung aus dem Nichts” maximal auf die Differenz zwischen Errichtungskosten der Wohnung und Marktwert (= Bruttogewinn des Bauträgers), nicht jedoch auf den Gesamtkreditbetrag.
Gesamtwirtschaftlich gesehen erzeugt die Bank lediglich einen Gegenwert in Form von Geld für den “Mehrwert”, den der neu geschaffene physische Gegenstand “Wohnung” im Vergleich zu den für seine Errichtung notwendigen Geldaufwendungen repräsentiert. Der erzielbare “Mehrwert” ergibt sich im konkreten Fall aus Angebot und Nachfrage am Markt für Eigentumswohnungen.

Damit wird auch die letztlich ziemlich “virtuelle” Natur des Wachstums einer Geldökonomie deutlich: Genauso wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, bestimmen die Präferenzen der potenziellen KäuferInnen darüber, ob “Wachstum” vorliegt oder das Gegenteil. Fehlt die entsprechende Nachfrage und lässt sich die Wohnung nicht zumindest zu ihren Errichtungskosten verkaufen, gibt es zwar rein physisch mehr Wohnraum (mehr Gebrauchswert). Monetär gesehen jedoch wurde “Wert” vernichtet, und im Ausmaß dieser Wertvernichtung schrumpft die Wirtschaft (ceteris paribus).

… aber setzt verschuldungsbereitschaft voraus

Das zusätzliche Geld, das Wirtschaftswachstum ermöglicht, wird also in der Regel in Form von Krediten (Schulden) in die Welt gesetzt (auch Bargeldemissionen der Zentralbanken sind “Schulden”, dazu später); allerdings wird das im Bereich der Geschäftsbanken nur dann passieren, wenn es eine Nachfrage nach zusätzlichen Krediten gibt, wenn also die Kreditnehmer (Unternehmer oder Konsumenten) darauf vertrauen, diese Kredite zurückzahlen zu können. (Selbst in diesem Fall kann eine Bank übrigens Giralgeld schöpfen, und zwar durch den Ankauf von Wertpapieren eines Kunden: Sie schreibt ihm dann einfach den Kaufbetrag auf sein Konto gut. Dann ist es die Bank, die sich verschuldet: Die Kontogutschrift ist ihre Verbindlichkeit gegenüber dem Kunden.)

Natürlich kann auch eine Regierung die notwendige zusätzliche Kreditnachfrage ersetzen oder steigern, indem sie sich verschuldet, etwa wenn die Unternehmen nicht genügend investieren. Darüber hinaus steht ihr im Prinzip wie gesagt auch offen, die Nachfrage direkt durch neu geschaffenes Bargeld zu steigern. In jedem solchen Fall werden die Profite der Unternehmen durch die Regierung vorfinanziert – und letztlich von uns, den SteuerzahlerInnen, bezahlt.

Schließlich müssen aber für Geld/Kredit bekanntlich auch noch Zinsen bezahlt werden (sofern es von einer Bank geschöpft wurde). Der mit der Geldschöpfung verbundene Zugriff auf zukünftige “Ersparnisse” erstreckt sich also nicht nur auf den zu realisierenden Gewinn der Unternehmen, sondern auch auf die damit verbundenen Zinsforderungen. Auch diese müssen aus den zukünftigen Gewinnen der Unternehmen bedient werden können.

Was passiert, wenn diese “Vorfinanzierung” per Kredit/Verschuldung nicht erfolgt, also wenn die Ausgaben von Staat, Unternehmen und Haushalten insgesamt nicht steigen, sollte klar sein: Die Gewinne inkl. Zinsen müssen aus einem “Kuchen” herausgeschnitten werden, der gleich bleibt oder sogar kleiner wird: Unternehmen versuchen stets, ihre Kosten/Ausgaben zu senken und die Gewinne zu erhöhen.

Für die Unternehmen heißt das, dass sie ihre Gewinne nun nicht aus einem zusätzlich vorgeschossenen Geld erwirtschaften können, sondern nur auf Kosten der Gewinne anderer Unternehmen. Ein verallgemeinerter Verdrängungswettbewerb setzt ein, bei dem jedes Unternehmen gezwungen ist bzw. versucht, seine Kosten (= Ausgaben) zu senken und dadurch noch weniger Geld (= Einkommen) in Umlauf bringt, womit sich das Problem ständig verschärft.

Damit können wir das Problem so zusammenfassen: Unsere kapitalistische Wirtschaft ist zum Wachstum verdammt, weil nur so die Zinsen auf Kredite bezahlt und die Profite der Unternehmen realisiert werden können.
Ohne Wachstum (also ohne ständige Neuverschuldung) würde das System über kurz oder lang zusammenbrechen.

Nächster Teil: Geld = Schulden.

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(1) Ich beziehe mich hier auf Sekundärquellen. Ich bitte um entsprechende Hinweise (office@rpoth.at), falls die Darstellung des Marx’schen Denkens unzutreffend sein sollte.

(2) “In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.” (Kapital II, S. 335ff)

(3) Als Einwand gegen die tatsächliche Geldschöpfung durch das Bankensystem wird ab und zu vorgebracht, dass in den Bilanzen der Banken Einlagevolumen (Verbindlichkeiten/Passiva der Bank) und Kreditvolumen (Kreditforderungen, ein Teil der Aktiva der Bank) einander im Wesentlichen entsprechen bzw. die Einlagen die Kreditforderungen übersteigen. Dazu ist Mehreres festzuhalten:

1. Ein Kredit wird dem Kreditnehmer auch auf seinem Kreditkonto “gutgeschrieben”, also als Verbindlichkeit der Bank (= Forderung gegen die Bank) verbucht. Dieser Betrag verwandelt sich früher oder später in Einlagen bei anderen Banken oder der kreditgebenden Bank selbst.
2. Wenn Banken per Giralgeldschöpfung Wertpapiere von Kunden ankaufen, etwa neuemittierte Staatsanleihen von der Regierung, die ein Konto bei der Bank unterhält, entstehen dadurch Kundeneinlagen. Solange diese Einlagen nicht vollständig abgezogen werden, würde selbst dann ein Überschuss der Einlagen gegenüber den Kreditforderungen bestehen, wenn eine Bank sämtliche von Kunden eingezahlte Beträge als Kredite “weitergegeben” hätte.