Gründung/Charakter, Struktur, Funktionsweise, Ideologie, Glossar (eigener Beitrag)
Die Welthandelsorganisation WTO (www.wto.org) mit Sitz in Genf wurde 1995 als ein Ergebnis der Uruguay-Runde (1986-1994) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT gegründet. Sie zählt derzeit (27. Juli 2008) 153 Mitglieder (mehr als drei Viertel davon Entwicklungsländer), und ihre Regeln gelten für mehr als 90 Prozent des Welthandels. Weitere 29 Länder, darunter die Russische Föderation, verhandeln über ihren Beitritt.
Sie löste das so genannte “GATT 1947” ab, ein Vertragswerk, das formell nie eine internationale Organisation war, sondern als vorübergehendes Provisorium für die geplante, jedoch nicht zustande gekommene Internationale Handelsorganisation (ITO) diente.
Klub der Reichen: Trotz ihrer großen Mehrheit sitzen die Entwicklungsländer am kürzeren Ast. Die WTO ist nämlich weitgehend machtlos: Sie kann ihre Regeln nicht selbst durchsetzen, sondern nur Handelssanktionen von Mitgliedern genehmigen. Es besteht keine kollektive Beistandspflicht wie etwa in der UNO in Sachen Frieden und Sicherheit. Da Entwicklungsländer nicht über ausreichendes Drohpotential verfügen, sind sie letztlich auf freiwilliges Wohlverhalten der reichen Länder angewiesen. Die große Bedeutung der WTO beruht auf ihrer Funktion, eine Eskalation von Konflikten zwischen den USA, der EU und Japan zu vermeiden. Insofern ist sie eher ein “Klub der Reichen” (plus China, unterdessen).
Das höchste beschlußfassende Organ der WTO ist die Ministerkonferenz, die zumindest im Abstand von zwei Jahren zusammentritt. Ihr untergeordnet ist der Allgemeine Rat, der auch als Streitbeilegungsorgan oder Handelspolitisches Prüfungsorgan dient. Darunter sind der Rat für den Handel mit Waren (früher vom GATT geregelt), mit Dienstleistungen (Regelungsbereich des GATS) und der Rat für TRIPS (geistige Eigentumsrechte) angesiedelt. GATT, GATS und TRIPS sind die drei “Säulen” der WTO. Die laufenden Geschäfte werden von einem Sekretariat unter Leitung eines von der Ministerkonferenz gewählten Generaldirektors geführt (derzeit Pascal Lamy, Frankreich).
Direkt dem Allgemeinen Rat untergeordnet sind einige Ausschüsse wie die Komitees für Handel und Entwicklung oder Handel und Umwelt, die jedoch kein Verhandlungsmandat haben. Seit der Ministerkonferenz in Singapur 1996 bestehen Arbeitsgruppen zu den Themen Handel und Investitionen, Handel und Wettbewerbspolitik und Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen. Bei der Ministerkonferenz in Genf 1998 wurde beschlossen, den Bereich des elektronischen Handels zu studieren, ohne ein eigenes Gremium zu schaffen.
Dabei gelten die Prinzipien Meistbegünstigung und Inländerbehandlung: Eine Begünstigung für ein Land muß allen Mitgliedern gewährt werden, und es darf nicht zwischen in- und ausländischen Erbringern von Dienstleistungen, Inhabern gewerblicher Schutzrechte oder Waren (nach erfolgtem Import) diskriminiert werden (“Diskriminierungsverbot”). Ausnahmen: u.a. Regionale Freihandelsabkommen, Begünstigung von Entwicklungsländern.
Bei Zöllen ist jedoch zwischen den sogenannten “gebundenen” und den tatsächlich angewendeten zu unterscheiden. Ein Land kann sich in der WTO etwa bloß verpflichten, einen sehr hohen Zolltarif nicht zu überschreiten, während tatsächlich weit niedrigere verlangt werden. Das sichert Spielraum.
Davon ausgenommen sind jedoch Produkte aus Zwangsarbeit. Darüber hinaus gestattet Art. XX GATT neben zahlreichen weiteren allgemeinen Ausnahmen auch Handelsmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Tieren, Menschen und Pflanzen. Allerdings wird hier ein wissenschaftlicher Nachweis der Gefährdung gefordert und nicht nach dem Vorbeugungsprinzip vorgegangen, wie die Diskussion um “Hormon-Rindfleisch” aus den USA gezeigt hat. Außerdem widersprechen manche Handelsmaßnahmen in multilateralen Umweltabkommen den WTO-Regeln und könnten so ausgehebelt werden.
Ideologisch gründet die WTO und zuvor GATT ihre Aktivitäten auf die Freihandelstheorie, wonach sich durch Spezialisierung von Ländern auf die ihren Kostenvorteilen entsprechenden Produkte insgesamt Wohlfahrtsgewinne erzielen lassen (wie diese verteilt sind, ist dabei nicht eindeutig).
Tatsächlich hat diese Theorie (zumindest in ihrer ursprünglichen Gestalt) jedoch jede praktische Relevanz verloren und dient lediglich als Legitimation der jeweiligen wirtschaftlicher Eigeninteressen bzw. als Nebelwand für ein wenig informiertes Publikum. Erstens gilt die Theorie allenfalls unter der Bedingung der Immobilität der Faktoren Kapital und Arbeit, und da zumindest Kapital wandern kann, sind die komparativen Vorteile schon allein dadurch nicht mehr fix, sondern veränderbar.
Analoges gilt für alle Entwicklungsanstrengungen und Aufholprozesse früher ärmerer Länder wie zuerst Japan oder die erste Tiger-Generation (Taiwan, Hongkong, Singapur, Korea): Die komparativen Vorteile lassen sich durch kollektive Lernprozesse und institutionelle Reformen verändern, und dies gilt umsomehr, je stärker sich die globale Wirtschaft in eine wissensbasierte Gesellschaft verwandelt, in der die Ausstattung mit Rohstoffen oder fruchtbaren Böden eine immer verschwindendere Rolle spielt.
Zwar ist die Migration von Arbeit im Vergleich zu Kapital relativ beschwerlich, doch gestatten das Internet und andere elektronische Kommunikationsmedien die Bereitstellung von immer weiteren Dienstleistungen ohne Ortsveränderung. Auch dies läßt sich durch die Freihandelstheorie nicht annähernd erfassen.
Was insbesondere unter den Tisch fällt, ist eines der Hauptprobleme praktisch aller Staaten: die “Vollbeschäftigung der Faktoren”, insbesondere von Arbeit. In Modellen der Handelsliberalisierung wird einfach angenommen, dass Arbeitskräfte aus nicht mehr konkurrenzfähigen Branchen postwendend Arbeit in anderen Sektoren der Wirtschaft finden; ebenso wird angenommen, dass die nötigen Investitionen zur Umstrukturierung der Wirtschaft quasi automatisch vorgenommen werden.
Noch etwas zum Thema Arbeitslosigkeit: Die neoklassische Hypothese, daß Arbeit dann annähernd vollbeschäftigt ist, wenn ihr Preis entsprechend fällt, und Arbeitslosigkeit demzufolge durch zu hohe Löhne verursacht sei, beruht auf der Annahme einer unendlichen Elastizität der Nachfrage nach Arbeitskraft. In der klassischen Zeit war man da noch ehrlicher: gibt’s zuwenig Nachfrage nach Arbeitskräften, dann gleichen sich Angebot und Nachfrage durch ein Sinken des Angebots aus, sprich: wer zuviel ist, verhungert einfach.